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ANSPRACHE VON PAPST JOHANNES PAUL II. 
BEIM WEIHNACHTSEMPFANG FÜR DAS
KARDINALSKOLLEGIUM

22. Dezember 1979

 

Meine Herren Kardinäle, geliebte Brüder!

1. Ich bin dem Herrn Kardinaldekan dankbar für seine Glückwünsche, in denen ich sein edles Herz und euer aller Herzen, liebe Anwesende, mitschwingen fühlte. Der Herr vergelte euch soviel Anteilnahme. Bei dieser ganz besonderen Zusammenkunft eines jeden Jahres spüren wir die Bedeutung und den Reichtum des bevorstehenden Weihnachtsfestes besonders lebendig. Jesus kommt, er steht schon vor der Tür. Der himmlische Vater macht ihn uns zum Geschenk; er ist das Geschenk schlechthin, in welchem wir alle anderen Geschenke natürlicher und gnadenhafter Art schon empfangen haben: Er, der "viele Male und auf vielerlei Weise einst zu den Vätern gesprochen hat, ... spricht in diesen Tagen zu uns durch den Sohn, den er zum Erben des Alls eingesetzt, durch den er auch die Welt erschaffen hat" (vgl. Hebr 1, 1 f). Und Maria, seine jungfräuliche Mutter, trägt ihn in ihrem Schoß, um ihn uns darzubieten, die wir durch die Hirten von Betlehem und die Weisen aus dem Orient an der Krippe vertreten sind. Sie schenkt ihn hin für das Heil aller Menschen. Diese Stunde, die wir einmütig in der Liebe und im Gebet und geistig zum Stall von Betlehem hingewandt miteinander verbringen, ist voller Freude und Ermutigung für mich und für euch, meine geliebten Mitarbeiter. Und ich danke euch von Herzen dafür.

2. Doch in euch fühle ich die ganze Kirche hier gegenwärtig: ihre Oberhirten, die verehrten Brüder im Bischofsamt, ihre Priester, die Ordensleute und alle Gläubigen. Die ganze Kirche bereitet sich auf Weihnachten vor und wird es am festgesetzten Tag in den wunderbaren und geheimnisvollen heiligen Geheimnissen nacherleben. Und an die ganze Kirche geht heute auch mein Gruß und mein aufrichtiger Dank für all die Wünsche, die aus allen fünf Kontinenten bei mir eintreffen. Vor einem Jahr es war mein erstes Weihnachtsfest auf diesem Stuhle Petri mit euch habe ich bei der gleichen Gelegenheit auf die im Auftrag Gottes übernommene Verpflichtung für das Wohl der ganzen Kirche hingewiesen: "Eine Verpflichtung zu Hingabe und Liebe" (Ansprache an die Kardinäle am 22. Dezember 1978; AAS 71, 1979, S. 50). Und während sich das Jahr nun schon rasch dem Ende zuneigt, glaube ich sagen zu können, daß ich demütig und einfach, aber mit allen meinen Kräften und unter Einsatz aller mir gebotenen Möglichkeiten dieser Verpflichtung treu geblieben und mir meiner Verantwortung vor Gott voll bewußt bin.

Mein Gruß und meine Glückwünsche gehen außerdem an die Brüder in den christlichen Gemeinschaften, die noch nicht in voller Gemeinschaft mit uns stehen. Sie gehen an die Angehörigen der nichtchristlichen Religionen, besonders jener, die den einzigen und allmächtigen Gott anbeten. Mein Glückwunsch geht auch an die Staatsoberhäupter der ganzen Welt, an die Verantwortlichen für die Geschicke der Menschheit und an die Politiker. Er geht an jeden Menschen, der lebt, arbeitet, sich freut und leidet auf diesem ganzen Globus.

3. Die wesentliche Botschaft des Weihnachtsfestes ist die Menschwerdung des Sohnes Gottes. Das Wort des Vaters ist Fleisch geworden und wohnt unter uns (vgl. Joh 1, 14). Es kommt für den Menschen. Für jeden Menschen. "Als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau, ... damit wir das Recht der Sohnschaft erlangten" (Gal 4, 4 f). Wie die Kirchenväter und die antiken Theologen häufig hervorgehoben haben, wird Gott Mensch, damit der Mensch Gott werde. Möge das kommende Weihnachtsfest jenes Heute sein, an dem sich dieser "bewundernswerte Austausch" vollzieht. Ein Heute, das nicht aufhören möge, solange auf der Erde ein Mensch geboren wird, der -'jenseits seiner Gebrechlichkeit als irdisches Geschöpf in seiner Person das königliche Abbild und die Ebenbildlichkeit mit Gott, die Würde des Sohnes des Vaters und des Erlösten durch Christus eingeprägt trägt. Dafür wird Jesus geboren an diesem Heute der Weilmacht, das ein orientalischer Autor so gut kommentiert mit den Worten: "An diesem Tag ist der Herr geboren, das Leben und das Heil der Menschen. Heute wurde die Wiederversöhnung der Gottheit mit der Menschheit und der Menschheit mit der Gottheit bewirkt... Heute ereignete sich der Tod der Finsternis und beginnt das Leben des Menschen. Heute hat sich für den Menschen ein Weg zu Gott eröffnet und für Gott ein Weg zur Seele ... Zuvor nämlich schrie die ganze Schöpfung auf ihrem Weg zum Verderben vom Falle Adams an, der ein König dieser Wirklichkeit war. Doch der Herr ist gekommen, um ihn so zu erneuern, wie er sein sollte und ihn neu zu schaffen als das wahre Ebenbild Gottes ... Heute wird die Einheit, die Gemeinschaft und die Wiederversöhnung vollzogen zwischen der himmlischen und der irdischen Wirklichkeit, zwischen Gott und Mensch" (Ps. Macario, Horn. 52, 1).

Geboren wird der "Erlöser des Menschen". Geboren wird mit ihm die neue Menschheit. Und geboren wird mit ihm die Kirche, wie der heilige Ambrosius so gut hervorhebt, wenn er die Geburt Christi so kommentiert; "Betrachtet die Uranfänge der entstehenden Kirche: Christus wird geboren, und die Hirten (das heißt die Bischöfe) beginnen aufzuwachen, um in der Halle des Herrn die Herden der Heiden zu versammeln" (Erp. ev. sec. Luc., 2, 50; PL 15, 1571). Und mit der Geburt Christi wurde der Ur-Auftrag der Kirche geboren, den sie später von ihm feierlich empfangen hat, die Würde des Menschen zu verteidigen, Jedes "einzelnen Menschen", wie ich in meiner ersten Enzyklika geschrieben habe. "Denn jeder ist vom Geheimnis der Erlösung betroffen, mit jedem ist Christus für immer durch dieses Geheimnis verbunden. Jeder Mensch, der im Mutterschoß empfangen und von seiner Mutter in diese Welt hineingeboren wird, ist gerade wegen dieses Erlösungswerkes der Obhut der Kirche anvertraut. Ihre Sorge schaut auf den ganzen Menschen und ist ihm in einzigartiger Weise zugewandt. Sie kümmert sich um den Menschen in seiner individuellen, unwiederholbaren Wirklichkeit" (Redemptor hominis, 13).

4. Diese zugleich theologische und existentielle Sicht war mit der Hilfe Gottes das Leitmotiv meines ersten Pontifikatsjahres. Diese Linie, angekündigt in der Ansprache beim feierlichen Beginn meines Pontifikats am 22. Oktober 1978, hat in der erwähnten Enzyklika konkreten Ausdruck gefunden, und ihr Bogen spannt sich über die im irischen Drogheda gehaltene Predigt bis zu den Vorschlägen zur Anwendung auf das internationale Leben und die internationalen Probleme in der Rede vor der 34. Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York am 2. Oktober 1979. Tatsächlich findet ‒ wie ich mir vor den angesehenen Vertretern der ganzen Welt zu erinnern erlaubt habe ‒ darin "jegliche politische Tätigkeit auf nationaler oder internationaler Ebene ihre Begründung: Letztlich kommt sie vom Menschen her, wird durch den Menschen ausgeübt, geschieht für den Menschen. Wenn sich diese Aktivität von der grundlegenden Beziehung und Sinnrichtung entfernt, wenn sie gewissermaßen sich selbst zum Ziel wird, dann verliert sie einen großen Teil ihrer Existenzberechtigung. Ja sie kann sogar zur Quelle einer speziellen Entfremdung werden; sie kann sich von Menschen völlig lösen; sie kann in Widerspruch geraten zur Menschlichkeit als solcher" (Nr. 6).

Mit dem Hinweis auf all dies erinnere ich in der wachsamen Erwartung dieses letzten Teils des Advents erneut zugleich an den der Kirche anvertrauten Erlösungsauftrag Christi, den diese durch die Jahrhunderte trägt, und an die dem Menschen eingeborene Würde, der man bis zum Letzten dienen muß. Und ich habe mir bei dieser Begegnung ‒ sie soll hauptsächlich den Problemen der gesamten Menschheit gewidmet sein, während bei anderer Gelegenheit, Mitte des neuen Jahres, die inneren Probleme der Kirche behandelt werden sollen ‒ erlaubt, einige Sätze sowohl aus der Enzyklika als auch aus der Rede in New York zu zitieren, weil ich sehe und wir alle sehen, daß die heilige Größe des Menschen, eines jeden Menschen, unseres Nächsten, nicht immer so geachtet wird, wie es sich gebührt.

5. Bei meiner Begegnung mit den Vertretern aller Nationen der Welt in New York habe ich vor diesem großen Forum an die Notwendigkeit erinnert, die „unveräußerlichen Rechte" der Person und der Gemeinschaft der Völker zu verkünden und zu verteidigen. Es gibt Probleme, die uns mit ihrem ganzen Ernst herausfordern; die Kirche hat das Recht und die Pflicht, sich einzumischen, wenn sie ihrem Auftrag treu bleiben will, der nach dem Willen des für uns geborenen Christus der Erlösung des ganzen Menschen und eines jeden Menschen gilt. Die Kirche verlangt nichts anderes als die Möglichkeit zur Zusammenarbeit mit allen Regierungen und Völkern, gleichgültig welcher Tendenz oder Ideologie, zur beständigen Erhöhung der Menschheit.

Die verschiedenen Reisen, die ich dank der Vorsehung des Herrn in diesem Jahre machen durfte, haben auch diese Dimension, diese ursprüngliche Berufung der Kirche in der Welt von heute, deutlich aufgezeigt. Es hat sich in der Tat nicht nur um Kontakte mit dem Volke Gottes gehandelt, dieser großartigen Realität, die das Reich Gottes darstellt, es auf die Erde ausdehnt und sein Strahlen am Ende der Zeit vorbereitet. Diese Pilgerfahrten zu Nationen und Völkern, die ihrer Tradition, ihrer Kultur, ihrem gesellschaftspolitischen Profil und ihrer Regierungsform nach doch so verschieden waren, haben auch Gelegenheit geboten, die hohen Repräsentanten vieler Staaten bei Begegnungen zu treffen, die reich waren an menschlicher und gesellschaftlicher Wärme und Bedeutsamkeit. Das waren ausgesprochen positive Ereignisse, die mehr und besser als jedes Wort dazu beigetragen haben, echte und konkrete Annäherung, mehr noch: weltweite Brüderlichkeit unter den Völkern zu schaffen und jede Art von trennenden Schranken zwischen den verschiedenen Systemen weiter zu beseitigen.

In diesem Lichte finden auch die vielfältigen Beziehungen ihre Existenzberechtigung, die der Hl. Stuhl sowohl durch die Päpstlichen Vertretungen im Dienst der jeweiligen Ortskirchen und Nationen als auch durch die Kontakte, die der Papst zu den Staatsoberhäuptern und den qualifizierten Repräsentanten der Regierungen und des politischen Lebens der verschiedenen Völker auf der ganzen Welt unterhält. Ich erinnere gerne an die zahlreichen Botschafter beim Hl. Stuhl; eine ganze Reihe von ihnen habe ich in den vergangenen Tagen zur Entgegennahme ihrer Beglaubigungsschreiben empfangen.

6. Angesichts so vielfältiger echter Möglichkeiten, einen konstruktiven Dialog mit den Mächten zu eröffnen, die die Welt regieren, fühlt die Kirche die Pflicht, ihre Stimme zur Verteidigung der Menschenrechte zu erheben. Das ist gewiß keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Staaten, keine unzulässige Aneignung von Aufgaben, die ihr nicht zustehen, und noch weniger ist es eine nicht auf Fakten beruhende Rhetorik:

Die Menschenrechte ‒ wie sie in jener fundamentalen „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte" von 1948 verkündet sind, an die ich am Rednerpult der Vereinten Nationen erinnert habe ‒ sind in der Welt leider verschiedenen Gefahren ausgesetzt, durch die sie eingeschränkt und gelähmt, wenn nicht sogar offen verletzt und unterdrückt werden. Noch nie hat man die Würde und das Recht des Menschen auf ein menschenwürdiges Leben so laut verkündigen gehört, aber niemals hat man auch so viele offene Verletzungen dieser Erklärungen erlebt.

Ich denke an die internationalen Spannungen, die leider weiterhin bestehen. An die Kriege und Revolutionen, die nicht nur große wirtschaftliche Not mit sich bringen, sondern vor allem von einer traurigen Folge von Tod und Zerstörung begleitet sind. Ich denke an die inneren Kämpfe, von denen einige Nationen zerrissen sind. An die Verletzung unerschütterlicher Prinzipien des internationalen Rechts, die von schwerstem Leid für die betroffenen Personen und ihre Familien begleitet sind.

Ich denke an die niederträchtigen und furchtbaren Verschwörungen des Terrorismus, die das Zusammenleben in einigen uns überaus teuren Nationen, wie dem geliebten Italien, bedrohen; wenn es sich auch nicht um echten Krieg handelt, so ist eine solche Situation doch das tückische und grausame Surrogat des Krieges. Und ich erinnere mit Schrecken an die Entführungen, die Erpressungen, die Raubüberfälle; ich denke an die Entführten, die unsagbar leiden, oft viele Monate lang.

In diesem Zusammenhang muß ich auch an die brisantesten Gefahrenherde in einigen Teilen der Welt erinnern: die fortwährende Krise im Nahen Osten, die Situation in Südafrika, den Konflikt auf der Halbinsel Indochina. Und hier geht der Gedanke an die mitleiderregenden Karawanen von Menschen, die über das weite Meer irren oder nach einer Zuflucht suchen, auf die politischen Flüchtlinge, auf die Menschen im Exil, auf die Gefangenen, deren aller Lage schmerzlich ist, weil ihnen Nahrung, Kleidung, Wohnung, Arbeit und vor allem jegliche Sicherheit für das Morgen fehlen: Die Flüchtlinge sind auf internationaler Ebene die wahren Armen von heute, und ihnen muß sich die Solidarität aller Völker zuwenden, damit ihnen eine bessere Zukunft eröffnet wird. Niemand darf die Augen vor ihrer Tragödie verschließen.

Wie ich schon vor den Vereinten Nationen gesagt habe, behält auch das Problem der Rüstung seinen ganzen besorgniserregenden Ernst, denn "bereit sein zum Krieg bedeutet auch, in der Lage zu sein, ihn auszulösen" (Rede an die Vereinten Nationen, Nr. 10). Dieser zunehmende Aufwand von Mitteln, der für die Gesellschaft keinen Nutzen bringt, hat verhängnisvolle psychologische Konsequenzen für die Beziehungen der Staaten untereinander und für das Leben im Innern der Staaten selbst. In diesem Zusammenhang muß auch die Installation immer ausgeklügelter Waffen berechtigte Besorgnis hervorrufen, die zwar als Verteidigungsmittel gedacht sein mögen, aber doch zur Ursache von Zerstörung und Untergang werden können.

In meiner kürzlich veröffentlichten Botschaft zum Weltfriedenstag, in der die Wahrheit als der Ursprung des Friedens dargestellt ist, habe ich die verschiedenen Formen der Unwahrheit erläutert, die den Menschen erniedrigen und das brüderliche Einvernehmen immer schwieriger und problematischer machen. Auch was ich soeben erwähnt habe, gehört in den Rahmen der Erforschung alles dessen, was dem Weltfrieden schadet, eben weil es dem ehrlichen Streben nach dem Guten und Wahren auch in den Beziehungen unter den Völkern entgegenwirkt. Ich spreche deswegen in dieser Weihnachtsbotschaft noch einmal den Wunsch aus: Es ist notwendig, daß "wir uns tief in unser eigenes Wesen versenken, um jene Schichten zu entdecken, wo wir uns ‒ jenseits aller Spaltungen in uns und zwischen uns ‒ in der Überzeugung bestärken können, daß die grundlegenden Antriebe des Menschen, die Kenntnis seiner wahren Natur ihn zur Begegnung führen, zur gegenseitigen Achtung, zur Brüderlichkeit und zum Frieden. Diese anstrengende Suche nach der objektiven und universellen Wahrheit vom Menschen wird ... Menschen des Friedens und des Dialogs schaffen, die sich demütig und zugleich kraftvoll zu einer Wahrheit bekennen, die es immer deutlicher macht, daß man ihr dienen muß und sich nie ihrer bedienen darf zu eigensüchtigen Interessen" (Botschaft zum Weltfriedenstag 1980, Nr. 4).

7. Die eben erwähnten Situationen sind Situationen des Unbehagens, Quelle des Leids. Die Menschen leiden heute. Wie viel, ja wie viel Leid kommt in die Welt, wenn man vergißt, daß der Mensch unser Bruder ist! Und darum kann die Kirche ‒ den Blick auf das Geheimnis des menschgewordenen Sohnes Gottes gerichtet und selbst aufgrund der Ungerechtigkeit der Menschen dem Leiden und dem Hunger, der Armut und dem Exil ausgesetzt ‒ nicht anders, als sich einzumischen, sich einzusetzen, sich ganz zu engagieren, um den Menschen zu helfen und ihnen Leid zu ersparen. Wo immer ein Mensch leidet, dort ist Christus und wartet an seiner Stelle (vgl. Mt 25, 31-46). Wo immer ein Mensch leidet, muß die Kirche an seiner Seite sein.

Alles, woran ich soeben erinnert habe ‒ drohende und bereits wütende Kriege, Terrorismus, Flüchtlingsprobleme ‒, stellt uns ein furchtbares Ausmaß menschlichen Leides vor Augen.

Hinzu kommt all das, was in der Welt Mißverhältnisse und Unbehagen verursacht und damit die dem Menschen eingeborene Würde verletzt, weil der Mensch gedemütigt wird und am eigenen Leib und für seine Angehörigen leidet. Ich meine die himmelschreienden gesellschaftlichen Ungleichheiten, die es immer noch gibt. Wenn ‒ wie das Zweite Vatikanische Konzil betont hat ‒ der "Mensch Urheber, Mittelpunkt und Ziel aller Wirtschaft" ist (Gaudium et spes, 63), so bestehen doch auch heute noch die "Gründe zur Besorgnis", die das Konzil mit absoluter Offenheit angeprangert hat, als es von der „Verschlechterung der Läge der sozial Schwachen" und von der "Verachtung der Notleidenden" sprach. "Während einer ungeheuren Masse immer noch das absolut Notwendige fehlt, leben einige auch in den zurückgebliebenen Ländern ‒ in Üppigkeit und treiben Verschwendung" (ebd.). Die Folge davon ist, daß in einigen Ländern noch heute der Hungertod wütet. Seine unschuldigen Opfer sind jedes Jahr Millionen. Wie kann man mit einem so grausamen, so unvorstellbaren Leid vor Augen mit Freude an das bevorstehende Weihnachtsfest denken? Und diese Geißel zieht ‒ wie wir wissen ‒ eine ganze Reihe von Übeln nach sich, die die Zukunft ganzer Völker bedrohen: Unterernährung, endemische Krankheiten, Tatenlosigkeit, Elend und Verzweiflung. Wie sollten wir nicht eine von gutem Willen getragene Zusammenarbeit auf internationaler Ebene herbeiwünschen? Es ist notwendig, daß sich alle Völker ‒ die oft aufgrund unbegreiflicher Marktgesetzmäßigkeiten ihre Produkte vernichten ‒ zusammentun, um ihren hungernden und leidenden Brüdern zu Hilfe zu kommen. Ich erinnere an dieser Stelle mit erneuerter Eindringlichkeit an das, was ich im Juli 1979 bei der Audienz für die Konferenz über die Agrarreform und am 11. Oktober bei meinem Besuch bei der FAO gesagt habe, jener Organisation der Vereinten Nationen, die mit der Untersuchung und Lösung der Ernährungs- und Entwicklungsprobleme auf der Weit befaßt ist: Man kann nicht gleichgültig bleiben, wenn man ein Tätigkeitsfeld von solch großem Ernst vor Augen hat, das ganze Erdregionen umfaßt.

Ich kann in dieser Stunde auch nicht die Arbeitslosen vergessen, die Unterbeschäftigten und alle, die die Last des Lebens nur mit Mühe tragen: Vielen Müttern und Vätern wird das Herz um so schwerer, je näher das Weihnachtsfest rückt, weil ihre Kinder nicht nur die Freude an überflüssigen Geschenken entbehren müssen, sondern selbst ihre materielle Sicherheit, ja vielleicht das bloße Überleben, keineswegs gewährleistet ist.

Ich denke auch an das Leid der anonymen Massen einfacher Menschen in allen Ländern, verursacht durch die plötzlichen Veränderungen in den internationalen Handelsbeziehungen und die Teuerung bei gewissen Versorgungsgütern. Diese Vorgänge haben steigende Kosten für die elementarsten Dinge des Lebens zur Folge und bereiten größte Schwierigkeiten im Leben der Familien und der Gesellschaft.

8. Doch es gibt auch Ursachen für inneres, statistisch nicht erfaßbares Leid, die die innerliche Größe und den Adel des Menschen an ihrer Wurzel angreifen, weil sie ihn daran hindern, seine höchsten, unveräußerlichen Rechte auszuüben. Die wichtigsten davon habe ich in der Ansprache an die Vereinten Nationen aufgezählt, nämlich "das Recht auf Nahrung, Kleidung und Wohnung, auf Gesundheit, Erholung und Freizeit; das Recht auf freie Meinungsäußerung, auf Erziehung und Kultur; das Recht der Freiheit der Gedanken, des Gewissens und der Religion sowie das Recht, seine Religion privat und in der Öffentlichkeit, für sich allein oder in Gemeinschaft zu bekennen" (Nr. 13). Im besonderen möchte ich heute gerade dieses Recht auf Religionsfreiheit unterstreichen, das ein heiliges Recht für alle Menschen ist. Das Zweite Vatikanische Konzil hat ihm einen feierlichen Appell gewidmet: "Diese Freiheit", heißt es in der Erklärung Dignitatis humanae, "besteht darin, daß alle Menschen frei sein müssen von jedem Zwang sowohl von Seiten einzelner wie gesellschaftlicher Gruppen, wie jeglicher menschlichen Gewalt, so daß in religiösen Dingen niemand gezwungen wird, gegen sein Gewissen zu handeln, noch daran gehindert wird, ... innerhalb der gebührenden Grenzen nach seinem Gewissen zu handeln" (Nr. 2).

Ich muß sagen, daß dies leider ein wirkliches Problem und ein ernstes Problem für das Leben verschiedener Völker der Erde ist. In verschiedenen Ländern gibt es die Religionsfreiheit in ihrem echten Ausmaß nicht. Es ist beispielsweise schwer zu verstehen, warum der Grundgedanke des wissenschaftlichen und sozialen Fortschritts heute mit dem Zwang zu einem atheistischen Programm verbunden sein muß; diese Situation dauert in bestimmten Ländern der Erde an und schafft tatsächlich, wie ich ebenfalls in der Ansprache an die Vereinten Nationen hervorgehoben habe, "eine Struktur des gesellschaftlichen Lebens, in der die Ausübung dieser (Grund-) Freiheiten den Menschen dazu verurteilt, wenn auch nicht im formalen Sinne, so doch de facto ein Bürger zweiter oder dritter Klasse zu werden" (Nr. 19). Das verursacht tiefes Leid, unheilbare Wunden und ununterdrückbare Gewissensqualen bei rechtschaffenen und gerechten Menschen, die die tiefsten Erwartungen ihres geistlichen Seins beschnitten fühlen. All diesen Brüdern und Schwestern, die leiden, ist der Papst nahe mit seiner Sympathie, seiner Zuneigung, seinem Gebet. Er möchte ihnen versichern, daß er keine Gelegenheit versäumen wird, um mit den Verantwortlichen, denen er in seinem Dienstamt begegnet, über ihre Situation zu sprechen. Diesen allen bringt er heute den berechtigten Anspruch zu Gehör, daß die Kirche und der Hl. Stuhl auf der ganzen Welt in friedlicher Weise das Recht haben müßten, den Gläubigen und den Priestern zu helfen: und dies, weil er einzig und allein von dem Willen beseelt ist, dem Menschen beizustehen, ihm seinen Lebensweg zu erleichtern und sein Inneres in der freien und konsequenten Verwirklichung seiner Überzeugung zu den Horizonten der menschlichen und übernatürlichen Würde zu erhöhen, zu der Gott ihn berufen hat. Die Kirche müßte in der Lage sein, ihren Auftrag in alle Himmelsrichtungen auszuüben in Achtung vor den wechselseitigen Freiheiten, aber auch in der Erfüllung der unverlierbaren Rechte, wie sie im Evangelium verkündet werden. In diesem Zusammenhang denke ich mit besonderer Zuneigung an das große chinesische Volk, dessen ich schon am Sonntag, 19. August, vor dem Gebet des Angelus gedacht habe. Das Weihnachtsfest vor Augen, sende ich meinen Gruß und meinen Glückwunsch an die Söhne der katholischen Kirche wie auch an alle Angehörigen dieser großen Nation und erneuere "die Hoffnung, daß sich positive Entwicklungen ergeben, die unseren Brüdern und Schwestern des chinesischen Kontinents die Möglichkeit bieten, sich der vollen Religionsfreiheit zu erfreuen" (O.R. dt., Nr. 34 vom 24. August 1979).

9. Das Internationale Jahr des Kindes geht zu Ende, in dessen Mittelpunkt weltweit der Mensch von morgen, der Mensch des Jahres 2000, stand. Heute tritt er ins Leben mit all seinen erst im Keim angelegten Verheißungen und mit all seinen Erwartungen, die nicht enttäuscht werden dürfen. Sehr schöne Initiativen hat es fast überall gegeben, und dies läßt hoffen, daß das Problem auf allen Ebenen in den Planungen und Sorgen der Politiker, der Soziologen, der Psychologen und Pädagogen, der Ärzte, der Lehrer und der Kulturschaffenden wie auch der Medienverantwortlichen seinen Platz findet. Viele haben geeignete Initiativen vorangetrieben. Der Papst darf vor allem nicht das unermüdliche, liebevolle und kluge Wirken von Personen und Einrichtungen innerhalb der Kirche vergessen; oft genug haben die finanziellen Mittel nicht ausgereicht, doch die Liebe Christi, die uns drängt, ersetzte das Fehlende (vgl. 2 Kor 5, 14). Und vor allem denke ich an das Wirken der Missionare, deren Evangelisierungsarbeit in ihren erzieherischen und sozialhelferischen Seiten gerade der Förderung und Vorbereitung der kommenden Generationen gilt. Und ich spreche mein Lob aus für alles, was Männer und Frauen jedes Glaubens und jeder religiösen Erziehung auf der ganzen Welt unter selbstlosen Bemühungen und in redlicher Absicht für die Erziehung und Unterstützung der Kinder tun.

Doch wieder muß ich feierlich betonen: Das Leben des Menschen ist heilig vom ersten Aufkeimen unter dem Herzen der Mutter, vom Augenblick der Empfängnis an. Wie könnte ich vergessen, daß gerade in diesem dem Kinde gewidmeten Jahr die Zahl der im Mutterleib getöteten Leben schreckenerregende Höhen erreicht hat? Das ist ein lautloses Massenopfer, das nicht nur uns Männer der Kirche, uns christliche Männer und Frauen auf der ganzen Welt, sondern auch die in der öffentlichen Verantwortung Stehenden und um die Zukunft der Völker Besorgten nicht gleichgültig lassen darf. Im Namen des "in Maria lebenden" Jesus, den sie in ihrem Schoß in eine gleichgültige und feindliche Welt getragen hat ‒ in Betlehem weigerte man sich, sie aufzunehmen, und im Palast des Königs Herodes plante man seinen Tod ‒ , im Namen jenes Kindes, das Gott und Mensch war, beschwöre ich alle, die sich der unaufgebbaren Würde dieser noch nicht geborenen Menschen bewußt sind, eine des Menschen würdigere Haltung einzunehmen, damit diese dunkle Zeit, die das Gewissen des Menschen mit Finsternis zu umhüllen droht, endlich überwunden werden kann.

10. Ziel des Internationalen Jahres des Kindes ist unter anderem auch die menschliche Förderung der Kinder und Halbwüchsigen beiderlei Geschlechtes bis an die Schwelle des Jugendalters. Ich denke deshalb in diesem Augenblick an die lebhaften und fröhlichen Scharen dieser lieben Buben und Mädchen, die auf der ganzen Welt die frohe Hoffnung für das Morgen sind. Dem Wachstum der Generationen folgend, umarme ich auch die unermeßliche Schar der Jugendlichen beider Geschlechter auf der ganzen Welt; sie sind das Bindegewebe der Gesellschaften jeglicher Art und die Energiereserve für den Aufbau einer gerechteren und besseren Zukunft. Diese Jugend ist in ihren verschiedenen Altersstufen, die von der frühesten Jugend bis an die Schwelle der Ehe reichen, rechtschaffen, großmütig, voller Durst nach Wahrheit und Gerechtigkeit; sie verlangt, daß die Erwachsenen sie mit Verständnis und gutem Willen im Berufsleben und in den Führungspositionen akzeptieren; sie wendet sich mit erneuertem Interesse und mit dem sehnlichen Wunsch nach einer klaren Antwort auf die wesentlichen Fragen des Lebens an die Kirche. Diesen jungen Menschen blickt Christus auch heute voll Sympathie in die Augen, wie dem jungen Mann im Evangelium (vgl. Mk 10, 21).

In ihrem Suchen nach Sicherheit kann und darf die Jugend nicht enttäuscht werden. An sie gewandt, wiederhole ich den Ruf zu Beginn meines Pontifikats: "öffnet, ja reißt die Tore weit auf für Christus!" (Ansprache vom 22. Oktober 1978). Ich weiß, daß ich damit ankomme! Die überaus frohen und ermutigenden Kontakte mit so vielen jungen Menschen, mit denen ich in diesem Jahr in Rom und in allen Breiten der Erde gesprochen habe, denen ich die Hände geschüttelt und mit denen ich freundschaftliche Blicke gewechselt habe, bestätigen es mir. Ihnen allen wiederhole ich: Die Kirche wird euch nie verraten, die Kirche wird euch nie enttäuschen, die Kirche wird euch immer achten in eurer ganzen Persönlichkeit. Habt keine Angst!

Aber ich denke ebenso an die dunklen Realitäten, die dieses von Leben überschäumende Potential der Kinder und Jugendlichen von heute bedrohen, die es zur gestaltlosen Masse, ja sogar in eine Zerstörungskraft verwandeln können. Ich kann nicht übergehen, daß zahlreiche Bestrebungen nach Arbeit, nach kultureller Weiterbildung und nach Beschäftigung im Beruf nicht erfüllt werden und viele junge Menschen deswegen arbeitslos bleiben, obwohl sie sich angestrengt und studiert und eine Ausbildung erreicht haben, die es wert wäre, für das allgemeine Wohl der Gesellschaft genützt zu werden. Und wie soll man nicht empört die Stimme gegen diejenigen erheben, die im verborgenen niederträchtig und aus entarteten Interessen diesen herrlichen Reichtum zerstören wollen und dazu schreckliche Surrogate verratener Werte und tödliche Lockmittel einsetzen, die in einem Leben voller Enttäuschungen, und ohne jedes Ideal leichte Beute finden. Wie kann man die bereits unzählbaren Opfer des Rauschgifts vergessen, das schon Kindern im frühesten Jugendalter angeboten und das später zur ehernen Kette einer schmachvollen Sklaverei wird? Wie kann man die moralischen Verwüstungen vergessen, die eine ebenso niederträchtige Industrie oder ein Teil des Verlagswesens und der Kommunikationsmittel, die vom permissiven und genußsüchtigen Denken durchdrungen sind und dieses mit Hilfe der Bilder weitergeben, mit ihrer zügellösen und zur Lebensnorm erhobenen Genußsucht in den Seelen zahlreicher junger Menschen angerichtet haben? Und wie kann man vergessen, daß die im Formungsprozeß stehende menschliche Persönlichkeit manipuliert wird durch die Massenmedien, die ideologische Verhetzung, die bruchstückhafte und verzerrte Darstellung der Wahrheit, die Pornographie?

Zu all diesen besorgniserregenden Anzeichen moralischen Rückschritts tritt die Gewaltanwendung in all ihren Formen. Sie gehorcht einzig und allein einer Logik der Zerstörung und des Todes und könnte ‒ Gott verhüte es ‒ das allgemeine Streben nach geordnetem Fortschritt, nach konstruktiver Eintracht und nach aufbauendem Frieden lähmen. An diese jungen Menschen, die heute nicht davor zurückschrecken, andere junge Menschen zu töten oder zu verwunden, richte ich wie mein Vorgänger Paul VI. auf Knien den Ruf der Hoffnung und die Aufforderung von Drogheda: "Ich appelliere an die Jugendlichen, die in Organisationen verstrickt sind, die Gewalttaten verüben. Ich sage euch mit der ganzen Liebe, die ich für euch hege, und mit dem ganzen Vertrauen, das ich in die Jugend setze: Hört nicht auf die Stimmen, die die Sprache des Hasses, der Rache und der Vergeltung sprechen ... Wahrer Mut liegt in der Arbeit für den Frieden. Wahre Kraft liegt in der Vereinigung mit den jungen Männern und Frauen eurer Generation, um überall eine gerechte, menschliche und christliche Gesellschaft mit den Mitteln des Friedens aufzubauen. Gewalt ist der Feind des Friedens. Frieden allein kann uns den Weg zu wahrer Gerechtigkeit führen" (Predigt beim Gottesdienst in Drogheda am 29. September 1979; vgl. O.R. dt., Nr. 40/79, S. 9).

11. Die Erziehung der Jugend ist untrennbar verbunden mit dem rechten Funktionieren des Familienlebens. Die Familie, "Grund- und Lebenszelle der Gesellschaft", wie das Konzil sie nannte (Apostolicam actuositatem, Nr. 11), ist das Reservoir des Glücks oder des Unglücks der Gesellschaft von morgen. Sie wirkt ja beständig und entscheidend sowohl in negativem wie positivem Sinn auf das Leben der jungen Menschen ein. Sie kann also aus den Gedankengängen dieser weihnachtlichen Botschaft nicht ausgeschlossen bleiben, um so weniger, als Weihnachten das Fest der christlichen Familien im reinsten Sinne ist, die sich in der einfachen, aus der wahren und tiefen Vereinigung der Herzen entspringenden Freude um die Sippe geschart haben. Die Heilige Familie, die wir am Sonntag nach Weihnachten feiern, gibt uns den Schlüssel, um alle Werte zu verstehen, die den Familien von heute verkündet werden müssen: Liebe, Hingabe, Opferbereitschaft, Keuschheit, Achtung vor dem Leben, Arbeit, Ausgeglichenheit, Fröhlichkeit. Die Ursachen der Zerrüttung dagegen, die ich erwähnt habe, finden in der Familie ihr erstes Opfer, und mit ihr überrollen sie auch die Jugend. Viele moralische Verirrungen wie auch viele Gewalttaten entstehen gerade aus der Auflösung der Familie, die leider zur Zielscheibe eines Bündnisses von zersetzenden Kräften geworden ist, die sich aller verfügbaren Mittel bedienen.

Wenn ich mich auf meinen Reisen in diesem Jahr so gut habe umschauen können, so sicher deswegen, weil die Präsenz und das Wirken der christlichen Familien das Bindegewebe, der Zusammenhalt und die tragende Struktur des gesellschaftlichen und kirchlichen Lebens auf der ganzen Welt geblieben sind. Dafür danke ich dem Herrn und mit ihm so vielen Vätern und Müttern auf allen Breitengraden der Erde.

Ich habe auch keine Gelegenheit ausgelassen, die Persönlichkeiten, mit denen ich in diesem Jahr zusammengetroffen bin, für die Verteidigung der Werte der Familie zu interessieren ‒ von den höchsten Vertretern des Lebens der Völker bis zu ihren diplomatischen Vertretern und den gesellschaftlichen und politischen Autoritäten. Und zugunsten der Familie und für die Lösung der verschiedenen vielschichtigen Probleme, die sie dem Gewissen und der Gesellschaft stellt, habe ich mich in meinen Ansprachen und Aufrufen unaufhörlich eingesetzt: In Mexiko bei der Predigt in Puebla de los Angeles, in Polen auf dem Jasna Göra in dem Aufruf und der Rede an die Arbeiter, dann in Nowy Targ, in Limerick in Irland und in Washington vor dem Kapitol in den Vereinigten Staaten. Ich habe auch ‒ in dem Apostolischen Schreiben Catechesi tradendae (Nr. 68) ‒ nicht den Hinweis auf das der Familie übertragene katechetische Wirken unterlassen. Und schließlich erlaube ich mir, auf die Betrachtungen hinzuweisen, die ich zur Zeit in Vorbereitung auf die der Familie gewidmete Generalversammlung der Bischofssynode im kommenden Jahr in den Generalaudienzen halte. Diese Versammlung wird eine von mir besonders erhoffte, bevorzugte Gelegenheit sein, weil sich die ganze Kirche in der Person der Vertreter ihrer nationalen Bischofskonferenzen in die Betrachtung der wunderbaren Würde der Familie, des Reichtums ihrer Werte und die Bedeutung ihrer unersetzlichen Aufgabe vertieften wird.

12. Verehrte Brüder! Das Zusammensein mit euch in dieser vorweihnachtlichen Erwartung hat mir diesen Überblick über die dringlichsten Probleme der Gegenwart gestattet. Ich weiß, daß es die unerläßliche Aufgabe des obersten Hirten der Kirche ist, den einzuschlagenden Weg zu zeigen. Dieser Weg ist Christus (vgl. Joh 14, 6). Er allein. Er zu allen Zeiten: "Christus ist derselbe gestern und heute und in Ewigkeit!" (Hebr 13, 8).

In diesem Jahr meines Pontifikats waren "meine tägliche Arbeit und die Sorge für alle Gemeinden" (2 Kor 11, 28) einzig und allein, dem Menschen zu begegnen, um dem Menschen die Begegnung mit Christus zu bringen. Die Menschenmengen, die sich ununterbrochen in den Mittwochsaudienzen gedrängt haben und denen ich auf meinen Pilgerreisen und bei den wöchentlichen Pfarreibesuchen in meiner Diözese Rom begegnet bin, haben mir gestattet, diesen lebendigen Kontakt aufzunehmen,  und haben eine beständige Katechese des Lehramtes ermöglicht, deren Grundlinien ich in dem kürzlich erschienenen Dokument Catechesi tradendae, einer Zusammenfassung der Ergebnisse der letzten Bischofssynode, aufgezeichnet habe. Es war ein unmittelbarer Kontakt mit allen: mit lebendigen Menschen und nicht mit einer anonymen Masse; mit den Kindern und Jugendlichen; mit Politikern; mit Arbeitern der verschiedenen Bereiche, die ich auch an ihren Arbeitsplätzen besucht habe; mit den Leuten auf den Feldern und in den Bergen; mit hervorragenden Vertretern der Wissenschaften ‒ Physikern, Juristen, Dozenten und Professoren; mit Vertretern kultureller Einrichtungen und des Fremdenverkehrs; mit Seeleuten, Piloten und dem fliegenden Personal, das mich durch den Himmel der verschiedenen Kontinente begleitet hat; mit den Männern der verschiedenen Abteilungen des Militärs und vielen anderen. Es war wirklich eine direkte und persönliche Begegnung mit den Menschen aller Länder.

13. Gleichzeitig war es eine Begegnung mit der Kirche. Sie wurde ja von Christus für das Heil des Menschen, eines jeden Menschen in seiner konkreten Lebenssituation, eingesetzt. Die Kirche erlebt heute einen wahrhaft begeisternden Augenblick der Vitalität und ist Mittelpunkt der Orientierung und des Interesses für die ganze Welt.

Es war für mich eine überaus reiche Erfahrung, in diesem Jahr den Bischöfen eines großen Teils der verschiedenen Kontinente zu begegnen. Und wenn es das Charisma des Petrus und seiner Nachfolger ist, die "Brüder zu stärken" (vgl. Lk 22, 32), so ist doch die Stärkung nicht weniger groß, die ich aus dem Glauben dieser Brüder empfange, wenn sie kommen, um "Petrus zu sehen" und mit ihm in beständiger, strikter Ausübung der bischöflichen Kollegialität, die mir so sehr am Herzen liegt, in brüderlicher Umarmung den Bruderkuß zu tauschen. Ausdruck dieser Kollegialität war vor allem die Begegnung mit den Mitgliedern des Kardinalskollegiums, die zu allererst in euch, verehrte Brüder, die ihr es bildet, soviel Freude, Interesse und Anteilnahme hervorgerufen hat, weil es sich um ein einzigartiges Ereignis handelte.

Und eine große Freude erfüllt mich jetzt, wenn ich daran erinnere, daß ein Bischof der Kirche Gottes, der verehrte Msgr. Tchidimbo, in diesem Jahr nach langer Leidenszeit seine Freiheit wiedererhalten hat.

Nicht vergessen kann ich auch die Begegnungen und die gemeinsamen Eucharistiefeiern mit den geliebten Brüdern im Priesteramt, die ich wie meinen Augapfel liebe. In ihrer freudigen, totalen und unwiderruflichen Treue zu Christus, dem ewigen Hohenpriester, sind sie wahrhaftig "meine Freude und mein Ehrenkranz" (Phil 4, 1).

In die Erinnerung eingegraben bleiben mir auch die Begegnungen mit den Ordensleuten der verschiedenen Kongregationen und Institute und unter ihnen besonders mit den Ordensbrüdern. Ich freue mich über ihr besonderes Zeugnis der Liebe zu Christus und zur Kirche.

In gleicher Weise erinnere ich mich an die Begegnungen mit den Ordensschwestern. Für sie wiederhole ich: Die Kirche setzt ihr ganzes Vertrauen und all ihre Erwartung in sie, daß sie eine geistliche Mutterschaft des Opfers und der Hingabe ausüben. Quelle und Wegweiserin dafür ist die allerseligste Jungfrau, die im aufmerksamen Schweigen von Nazaret, des Kalvarienberges und des Abendmahlssaales zur höchsten Würde der Mutter Gottes und der Kirche und zur fürsorglichen Königin der Apostel berufen worden ist.

Die Zeit würde nicht ausreichen, um an die Mengen der Gläubigen zu erinnern, denen ich im Lauf dieses Jahres auf meinen Apostolischen Reisen wie auch in den Audienzen und bei den Besuchen in Rom und in Italien begegnet bin.

Erwähnen wenigstens möchte ich die Bemühungen, die einigenden Bande zwischen der katholischen Kirche und den Schwesterkirchen des christlichen Orients zu verstärken durch die Suche nach Verständigung und Verständnis, die auf der Liebe Christi und der gemeinsamen Vermehrung des Ruhmes Gottes aufgebaut sind. Die Verpflichtungen, die das Zweite Vatikanische Konzil auf dem heiklen, schwierigen und verheißungsvollen Gebiet des Ökumenismus als eine seiner Hauptaufgaben hinterlassen hat, nämlich "die Einheit aller Christen wiederherstellen zu helfen" (Unitatis redintegratio, Nr. 1), sind weiterhin Hauptziele dieses Pontifikates.

14. Aufgabe des obersten Lehramtes der Kirche ist es in diesem Augenblick großer Spannungen, aber noch größerer Hoffnungen, dem Menschen einen Dienst der Liebe und der Wahrheit anzubieten. In diesem Geist habe ich meine Reisen unternommen, und in diesem Geist werde ich mit Gottes Hilfe im kommenden Jahr weitere unternehmen. Einladungen dazu sind mir von den Bischofskonferenzen und den staatlichen Obrigkeiten zahlreicher Länder zugegangen. Ich danke für soviel Höflichkeit und versichere, daß ich so vielen Einladungen folgen werde, wie mir möglich ist.

Ich bitte den Herrn, er möge mir Kraft und Beistand geben, um auf dem von meinen unvergeßlichen Vorgängern vorgezeichneten Weg weitergehen zu können: von der unüberwindlichen und: unbesiegbaren Hoffnung eines Johannes XXIII. zur heroischen und weitblickenden Geduld und Festigkeit eines Paul VI. ‒ der für das, was er bei der Verwirklichung des Zweiten Vatikanischen  Konzils zum Wohl der Kirche getan hat, für immer herausragt ‒ bis zum Lächeln Johannes Pauls I., der wie ein Blitz aufgeleuchtet und vorübergegangen ist und doch eine tiefe Spur hinterlassen hat, weil er uns immer daran erinnern wird, daß "Gottes Wege nicht unsere Wege sind" (vgl. Jes 55, 8).

Auf dieser Linie verläuft weiterhin der Weg der Kirche jetzt, am Beginn des neuen Jahres wie auch in der Zukunft. Christus ist mit uns,: haben wir also keine Angst und zögern wir nicht:. "Ich bin bei euch alle Tage bis zur Vollendung der Welt" (Mt 28, 20).

15. All dies per Mariam, durch Maria! Unter ihren Schutz habe ich den Beginn meines Pontifikates gestellt, ihr habe ich im Laufe dieses Jahres den Ausdruck meiner kindlichen Frömmigkeit dargebracht, die ich von meinen Eltern gelernt habe. Maria war ‒ in ihren berühmtesten wie in ihren verschwiegensten Heiligtümern ‒ der Leitstern meines Weges: die Mentorella und Santa Maria Maggiore, Guadalupe und Jasna Göra, Knock und das Nationalheiligtum der Unbefleckten Empfängnis von Washington, Loreto, Pompei und Ephesus. Ihr vertraue ich mich selber an.. Ihr vertraue ich die ganze Kirche an, während wir Abschied nehmen von diesem Jahr und der Morgen eines neuen Jahres heraufzieht. Mit Maria machen wir uns gemeinsam auf den Weg nach Betlehem.

Wenn beim Blick auf die Zukunft auch nicht die Gründe zur Besorgnis fehlen, so sind die Anlässe zu Vertrauen und Hoffnung doch stärker und zahlreicher. Getragen von dieser Hoffnung setzt die Kirche ihr Wirken fort. Sie bleibt Christus, seinem Evangelium und seiner Aufforderung zur Umkehr treu, denn "das Reich Gottes ist nahe" (Mk 1, 15). Sie wird niemals müde werden, vor Gott für die Menschheit einzutreten: niemals müde, für die Verteidigung und den Aufstieg des Menschen einzutreten und persönlich: dafür zu bezahlen ‒ des Menschen insgesamt, mit Seele und Leib. Eines jeden Menschen, vom Mutterleibe an, weil jeder Mensch Krone der Schöpfung ist (vgl. Gen 1, 27 ff.), weil jeder Mensch lebendiges Lob der Herrlichkeit Gottes ist (vgl. Eph 1, 12. 14; hl. Irenäus, Adv. Haer. IV, 20, 7).

Die Kirche verkündet weiterhin der Welt diese außerordentliche Wirklichkeit. Und ohne müde und mutlos zu werden, sammelt sie ihre Kräfte, schreitet voran in der Welt und verkündet die Heiligkeit, die Ehre und die Rechte Gottes und die Größe des Menschen. Sie geht im Lichte Gottes und in der Freude Gottes. Wir alle sind in diesen Pilgerweg mit einbezogen. Gehen wir also voran, gehen wir und singen wir, wie der hl. Augustinus sagt: "Nicht um die Untätigkeit auszufüllen, sondern um die Mühen zu stärken. Machen wir es, wie die Wanderer zu tun pflegen: Sing, aber schreite aus; tröste mit dem Gesang deine Anstrengung, gib dich nicht mit dem Nichtstun zufrieden; sing und wandere ... Schreite fort im Guten, schreite fort im rechten Glauben, schreite fort in guter Lebensführung: Canta et ambula" (Predigt 256, 3; PL 38, 1193).

In diesem Voranschreiten leite uns immer der Weihnachtsstern, der zu Jesus führt, dem Sohn Gottes und dem Sohn Mariens; zu Jesus, dem Erlöser des Menschen.

Dazu meinen Apostolischen Segen.

 

 

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