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APOSTOLISCHE REISE IN DIE BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND

ANSPRACHE VON JOHANNES PAUL II.
AN DIE MITGLIEDER DES ZENTRALRATES DES JUDEN

Erzbischöfliche Residenz in Köln - Freitag, 1. Mai 1987

 

Verehrte Herren, liebe Brüder!

1. Es erfüllt mich mit Freude und Dankbarkeit, auch während meines zweiten Pastoralbesuches mit Ihnen zusammentreffen zu können. Diese erneute Begegnung gibt mir Gelegenheit, auf die Bedeutung der Tatsache hinzuweisen, daß es gerade in diesem Land auch heute noch jüdisches Leben und jüdische Gemeinden gibt. Die vatikanischen ”Hinweise für eine richtige Darstellung von Juden und Judentum in der Predigt und in der Katechese der katholischen Kirche“ vom Jahre 1985, deren Lektüre und Anwendung ich allen Katholiken sehr empfehle, erinnert an die jüdische Geschichte ”in einer zahlreichen Diaspora, die es Israel erlaubt, das oft heldenhafte Zeugnis seiner Treue zum einzigen Gott in die ganze Welt zu tragen“ (Cf. Note sul modo corretto di presentare gli ebrei e l’ebraismo nella predicazione e nella catechesi della Chiesa cattolica, 1985, VI, 25). Schon in der Antike trugen Juden dieses Zeugnis der Treue bis ins Rheinland. Hier kam es bereits sehr früh zu einem bodenständigen Judentum von großer geistiger Schöpferkraft.

2. Meine verehrten Brüder, Sie hüten so mit Ihren heutigen Gemeinden ein kostbares geschichtliches und geistiges Erbe und sind gewillt, es fruchtbar zu entfalten. Darüber hinaus bekommen diese Gemeinden einen ganz besonderen Wert vor dem Hintergrund der Verfolgung und versuchten Ausrottung des Judentums in diesem Lande. Bereits die Existenz Ihrer Gemeinden selbst ist ein Hinweis, daß Gott, bei dem ”die Quelle des Lebens“ ist (Ps 36, 10) und den der Beter als ”Vater und Gebieter meines Lebens“ preist (Sir 23, 1), den Todesmächten nicht erlaubt, das letzte Wort zu haben. Möge der eine, gütige und barmherzige Vater des Lebens Ihre Gemeinden schützen und sie besonders dann segnen, wenn sie sich um sein heiliges Wort versammeln.

3. Heute ehrt die Kirche eine Tochter Israels, die während der nationalsozialistischen Verfolgung als Katholikin dem gekreuzigten Herrn, Jesus Christus, und als Jüdin ihrem Volk in Treue und Liebe verbunden geblieben ist. Zusammen mit Millionen von Brüdern und Schwestern hat sie Erniedrigung und Leiden bis zum Letzten, bis zur unmenschlichen Vernichtung, der Shoah, erlitten. Mit heroischem Glaubensmut hat Edith Stein ihr Leben in die Hände Gottes, des Heiligen und Gerechten, zurückgegeben, dessen Geheimnis sie ihr ganzes Leben hindurch besser zu verstehen und zu lieben suchte.

Möge der heutige Tag ihrer Seligsprechung für uns alle ein Tag des gemeinsamen Lobpreises und Dankes an Gott sein, der wunderbar ist in seinen Heiligen, wie er sich auch als herrlich und erhaben erwiesen hat in den großen Gestalten des Volkes Israels. Zugleich wollen wir in ehrfürchtiger Stille verharren und die fürchterlichen Konsequenzen in unserem Gewissen bedenken, die sich aus der Leugnung Gottes und aus kollektivem Rassenhaß immer wieder ergeben können. Dabei erinnern wir uns in brüderlicher Solidarität auch an das Martyrium vieler Völker Europas unserer Tage und bekennen uns zu einem gemeinsamen Einsatz aller Menschen guten Willens für eine erneuerte ”Zivilisation der Liebe“ hier in Europa, die von den besten jüdischen und christlichen Idealen beseelt ist. Dazu gehören auch ein wachsames Auge, ein mutiges Wort, ein klares Vorbild bei allen neuen Formen von Antisemitismus, Rassismus und neuheidnischer Glaubensverfolgung. Ein solcher gemeinsamer Einsatz wäre die kostbarste Gabe, die Europa der Welt auf ihrem mühsamen Weg zu Entwicklung und Gerechtigkeit anbieten könnte.

4. Die selige Edith Stein erinnert uns alle, Juden wie Christen, durch ihr gelebtes Beispiel an den Aufruf der Schrift: ”Ihr sollt heilig sein, wie ich-euer Gott-heilig bin“ (Lv 11, 45). Diese gemeinsame Berufung schließt auch eine gemeinsame Verantwortung ein, die ”Stadt Gottes“ zu erbauen, die Stadt des Gottesfriedens. So wenden sich unsere Gedanken spontan auf Jerusalem hin, ”Stadt des Friedens“. Von ihr sagt der Prophet: ”Der Herr hat Erbarmen mit Zion . . . Die Stadt gleicht . . . einer Steppe, doch er macht sie zum Garten des Herrn. Freude und Fröhlichkeit findet man dort, Loblieder und Harfen erklingen“ (Jes 51, 3). Mit dieser Friedenshoffnung im Herzen bitten wir den Herrn um die Fülle seines barmherzigen Friedens.

 

© Copyright 1987 -  Libreria Editrice Vaticana

 



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