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ANSPRACHE VON JOHANNES PAUL II.
AN DIE BISCHÖFE AUS DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND ANLÄSSLICH IHRES "AD-LIMINA"-BESUCHES

Samstag, 23. Januar 1988

 

Liebe Mitbrüder im Bischofsamt!

1. Nachdem ich bereits in der vergangenen Woche eine erste Gruppe von Oberhirten Eurer Bischofskonferenz mit ihren Weihbischöfen zum diesjährigen Ad-limina-Besuch empfangen konnte, grüße ich heute Euch, die zweite Gruppe aus Nordwestdeutschland: die Bischöfe von Aachen, Essen, Hildesheim, Münster, Osnabrück und Paderborn sowie den Diözesanadministrator des Erzbistums Köln. Ein besonderer Gruß gilt dem Metropoliten unter Euch, Erzbischof Degenhardt. Zusammen mit Euch gedenke ich des jüngst verstorbenen früheren Bischofs von Osnabrück, Helmut Hermann Wittler, den Ihr erst vor vierzehn Tagen zu Grabe getragen habt. Gott schenke diesem verdienten Oberhirten seinen ewigen Frieden; ebenso seinem treuen Diener Kardinal Joseph Höffner, dessen hochverehrter Person ich schon vor der ersten Bischofsgruppe mit Dankbarkeit gedacht habe. Einen brüderlichen Willkommensgruß richte ich dann auch an die Weihbischöfe, die auch bei dieser Gruppe zahlreich vertreten sind.

2. In einem ersten Teil meiner Gesamtansprache an Eure Bischofskonferenz habe ich zu Eurer ersten Gruppe von der Sorge um den Glauben gesprochen; mit Euch möchte ich das christliche Leben in den Pfarrgemeinden besonders bedenken.

Das II. Vatikanische Konzil hat Anstöße gegeben, um das Nachdenken über die Gemeinschaft der Gläubigen auf Pfarr- und Diözesanebene anzuregen und das Leben in ihr zu erneuern. In Eurem Land ist dies besonders intensiv geschehen. Ihr konntet dabei auf viele gute Erfahrungen zurückgreifen, die schon von jener Kirchenversammlung gewachsen waren, wie zum Beispiel die liturgische Bewegung und die Erneuerung des Laienapostolats. Viele Mühen galten dem inneren und äußeren Aufbau lebendiger Pfarrgemeinden.

Besonders fruchtbar hat sich dies für die Gestaltung der Gottesdienste und der Sakramente erwiesen. Achtet jedoch darauf, daß die Normen der liturgischen Erneuerung auch überall beachtet werden. Sonst entstehen leicht bedauerliche Mißverständnisse: Manche lasten dem Konzil und der liturgischen Erneuerung an, was in Wirklichkeit nicht Absicht der Kirche ist, sondern auf einzelne, die willkürlich handeln, zurückgeht. Jeder, der am liturgischen Handeln der Kirche mitwirkt, muß sich bewußt bleiben, daß er einen heiligen Dienst tut, der verlangt, daß der einzelne sich einfügt in das Ganze der betenden Kirche und in die ihm zugewiesene Aufgabe.

Er muß sich dabei vor jeder Überbetonung der eigenen Person hüten. Auf der Grundlage solcher Dienstbereitschaft kann jeder gewiß auch seine persönlichen Fähigkeiten einbringen. Vor allem der Priester darf nie vergessen, daß er ”im Namen und in der Person Jesu Christ handelt“, wie eine lange Überlieferung lehrt. Er muß ganz zurücktreten können hinter dem Herrn, den er verkündigt.

Sorgt also für diese grundlegende Spiritualität aller Ämter und Dienste, die im Gottesdienst Aufgaben wahrnehmen. Sonst besteht die Gefahr, daß das heilige Geschehen der Liturgie zu einem bloßen Menschenwerk verflacht. Gottesdienst ist wesentlich auf Anbetung und Lobpreis hingeordnet. Wir danken Gott für seine Gaben und empfangen sie durch sein Handeln. Dies kann, wie der Reichtum der Kirche an Gebeten und Riten zeigt, auf vielfache Weise geschehen. Beachtet auch Zeiten für Stille und Schweigen, für Besinnung und persönliches Gebet in den Gottesdiensten. Das gesprochene und verkündigte Wort muß aus dem Wurzelboden der Anbetung und des ehrfürchtigen Schweigens erwachsen.

Ich bin Euch dankbar, daß Ihr immer wieder – zum Teil auch in ökumenischen Verlautbarungen mit den evangelischen Kirchen – auf die Heiligung des Sonntags und seine Bedeutung für eine wahrhaft menschliche Kultur hinweist. Die Eucharistiefeier der Pfarrgemeinde ist dabei ein Höhepunkt, der durch nichts vollgültig ersetzt werden kann. Darum stütze ich Euch darin, daß Ihr diese Einzigartigkeit der sonntäglichen Eucharistiefeier auch im Blick auf den Wunsch nach vermehrten ökumenischen Gottesdiensten beachtet.

3. Die Erneuerung der Pfarreien hat den Kern der Gemeinden vielerorts lebendiger gemacht. Zahlreiche Gläubige arbeiten dort ehrenamtlich mit und stellen ihre Gaben und Dienste den Pfarrgemeinden zur Verfügung. Bischöfe und Priester können dankbar und froh sein, wenn sich so viele Christen an ihrer Seite zum aktiven Zeugnis ihres Glaubens bereiterklären. Dankt ihnen auch in meinem Namen für diesen Einsatz! Der gleiche Dank gilt aber auch den jungen Männern und Frauen, die einen hauptamtlichen Beruf im Zusammenwirken mit den Priestern und Diakonen in der direkten Pastoral der Kirche anstreben und dafür die verschiedenen Ausbildungswege bis hin zum theologischen Vollstudium einschlagen. Gewiß gibt es in diesem Bereiche manche praktische Schwierigkeiten bei der genaueren Aufgabenumschreibung wie bei der notwendigen Zusammenarbeit mit dem Seelsorgeklerus. Dies alles sollte aber nicht die Freude darüber mindern, daß hier durchaus echte geistliche Berufungen vorliegen, die eine besondere Prüfung, Pflege und Förderung durch das Hirtenamt verdienen.

Wir sind dankbar, daß es bei Euch Entwicklungen gibt, die Anlaß zu Freude und Anerkennung sind. Allerdings sind auch einige negative Tendenzen nüchtern zu sehen: Der Kirchenbesuch ist in den letzten Jahrzehnten ständig zurückgegangen, obwohl die Menschen immer mehr Freizeit haben; die Distanzierung vieler Getaufter vom konkreten Leben der Kirche nimmt zu. Ihr wißt darum und habt schon manches dagegen unternommen. Schreckt aber vor dem schwierigen Werk sogar einer Neu-Evangelisierung Eurer Heimat nicht zurück! Wenn heute manche Menschen nicht mehr zur Kirche finden, muß die Kirche sie aufsuchen. Wir müssen uns auch um diejenigen kümmern, die nur noch selten oder gar nicht mehr bei uns sind. Die Pastoral in unseren modernen Industriestaaten muß heute von Grund auf missionarisch sein. Wir dürfen uns nicht mit der kleinen Herde besonders Getreuer begnügen, sondern müssen immer wieder alle einladen und um sie werben. Ihr folgt dabei dem Beispiel Christi, der für alle gestorben ist und keinen verlorengehen lassen wollte.

4. Evangelisierung vollzieht sich zunächst in der öffentlichen Verkündigung der Kirche in Katechese und Predigt auf den verschiedensten Ebenen und in vielfältigen Formen; sie verlangt aber dann vor allem auch des persönliche Zeugnis in der zwischenmenschlichen Begegnung; theologische Forschung und kirchliche Verwaltung können dafür nur den Rahmen schaffen. Erst recht können technische Hilfsmittel den Kontakt von Mensch zu Mensch in der Verkündigung des Glaubens nicht ersetzen: Der Funke persönlicher Überzeugung muß vielmehr überspringen und im Mitmenschen den Glauben an Jesus Christus aufkeimen lassen oder vertiefen.

Wenn nun heute neue apostolische Gruppen und Bewegungen mit großem Elan die Frohe Botschaft vom Heil anderen lebendig und eindringlich nahebringen wollen, sollte ihnen jeder vertretbare Freiraum und viel Vertrauen geschenkt werden. Sie pflegen ihr Apostolat gelegentlich nicht in den üblichen und allseits vertrauten Formen; auch will die letztlich notwendige Integration in die örtlichen Seelsorgestrukturen und -konzepte nicht immer gleich von Anfang an gelingen. Dennoch verdienen solche Bewegungen grundsätzliche Anerkennung und Förderung, wie es auch die letzte Bischofssynode betont hat. Weltweit gesehen, haben sich solche neuen Wege der Evangelisierung bereits gut bewährt und erstaunliche Früchte erbracht. Der Heilige Geist hat Euren Ortskirchen ein reich entfaltetes Laienapostolat in ständischer und beruflicher Gliederung geschenkt; derselbe Heilige Geist sendet Euch heute neuartige Begabungen missionarischer Art, die dem Leben Eurer Gemeinden frische Impulse geben möchten, ohne bisherige Initiativen und Gruppen zu mißachten oder gar zu verdrängen. Die Diözese und die Pfarrei bleiben die grundlegenden Gemeinschaften der Seelsorge.

Wenn wir von Evangelisierung sprechen, müssen wir aber vor allem auch an die christliche Familie denken: Die von der Schöpfungsordnung vorgezeichnete Urzelle einer jeden menschlichen Gesellschaft ist auch der erste Ort für die Einübung in den Glauben. Die Familie ist der Raum der Begegnung der Generationen; in ihr müssen die sozialen Tugenden im täglichen Miteinander erlernt werden. In ihr wird Glaube persönliche Erfahrung und zugleich gemeinschaftliche Gestalt. Seelsorge muß deshalb darauf abzielen, die Familie zu stärken, sie gegen die Bedrohung familienfeindlicher Strömungen zu schützen und sie als gewachsene Ganzheit in den apostolischen Auftrag hineinzuführen.

5. Ein besonderes Anliegen, das Ihr mit mir teilt, wird die Sorge um die junge Generation in der Kirche sein. Sie wird einmal das Erbe des Glaubens weitergeben müssen an die folgenden Generationen. Auf ihre innere Festigkeit und ihr Glaubenszeugnis wird es also ankommen. Müht Euch mit allen Kräften um die jungen Menschen. Sie brauchen unser Vertrauen und das aufrichtige Gespräch mit den Ä1teren. Nur so kann die Kluft zwischen Jung und Alt, die heute über das gewohnte Spannungsverhältnis hinauszugehen scheint, von beiden Seiten her überwunden werden. Zeigt den jungen Menschen, daß Ihr ihnen Weggenossen seid, die ihre Fragen und Nöte aufnehmen, ihnen aber auch die Kraft des Evangeliums für ihr Leben bezeugen können. So sehr wir um die jungen Menschen von heute leidenschaftlich ringen müssen, so entschieden und eindeutig muß die Art sein, wie wir ihnen als Hirten begegnen. Achtet auf Verderber, die ihre ideologischen Irrtümer verführerisch anpreisen. Nehmt positive neue Erfahrungen junger Leute auf, zeigt ihnen aber nicht weniger, wo falsche Wege beginnen und welche Wege die Heilige Schrift und die christliche Überlieferung uns weisen. Stellt den Jugendlichen trotz des Mangels an Priestern doch genügend Seelsorger von besonderer Qualität zur Seite, die der Jugend von heute die Kraft und Schönheit der biblischen Offenbarung und des Glaubens der Kirche überzeugend und begeisternd vermitteln können. Gebt aber auch dem Glaubenszeugnis junger Menschen selbst genügend Raum und hört ihre Meinung; denn ”der Herr offenbart oft einem Jüngeren, was das Beste ist“, wie der heilige Benedikt sagt.

Gewiß tut Ihr gut daran, den Jugendlichen immer wieder zu helfen, ihr mit heißem Herzen betriebenes gesellschaftliches Engagement mit dem erprobten Fundament des christlichen Menschenbildes zu verbinden, wie es uns das Lehramt der Kirche mit dem Blick auf den Herrn und die Glaubensurkunden vorlegt. Seid Euch aber auch bewußt – und gebt es im Gespräch mit den jungen Leuten auch zu –, daß wir Älteren manche neuen Werte und Optionen für ein gesichertes Weiterleben der Menschheit erst gesehen und zu schätzen begonnen haben, nachdem sie bereits von jungen Menschen entdeckt und vorgetragen worden waren. Ich denke hier vor allem an die Bereiche des Friedens, der Entwicklung der Völker und der Umwelt.

6. Sorge und Schmerz bereitet uns die Lage der Familie und vor allem die Zahl der Ehescheidungen, die auch unter den Katholiken Eures Landes erschreckend hoch ist. Auch verweigern sich viele junge Menschen zeitweilig oder sogar grundsätzlich der Lebensform der Ehe, obwohl sie wie Mann und Frau miteinander leben und wohnen. Die unwiderrufliche Treue in der Ehe, vor der Gesellschaft und der Kirche bekundet, ist dagegen das kostbarste Gut, das die Kirche als Gabe und Aufgabe ihres Herrn für das eheliche Zusammenleben der Menschen hüten muß. Darum führt auch die isolierte Forderung einer Zulassung von wiederverheirateten Geschiedenen zu den Sakramenten letztlich in die Enge. Eine Lösung der damit gegebenen Probleme wird eher in einer tieferen Vorbereitung junger Menschen auf das Geheimnis der Ehe vor allem als Sakrament zu suchen sein, und dies nicht nur für die betroffenen Brautleute selbst, sondern als ein Gebot der Glaubensunterweisung und Verkündigung über die christliche Ehe auf allen Ebenen der Pastoral. Prüft und vertieft darum mit ganzem Einsatz die vorhandenen Formen kirchlicher Ehevorbereitung in Euren Diözesen. Achtet dabei darauf, daß die Brautpaare besonders auch für die große Aufgabe der Formung einer christlichen Familie zugerüstet werden. Vielleicht haben wir im Ganzen der Verkündigung noch zu wenig von der Größe und Schönheit, aber auch von den Anforderungen und Aufgaben einer christlichen Ehe und Familie gesprochen. Gerade auch verheiratete Laien sollten dafür Zeugnis geben. Achtet aber darauf, daß sich in die kirchlichen Vorbereitungskurse zur Ehe nicht irrige Vorstellungen einschleichen, die nicht bloß unvereinbar sind mit der gültigen Botschaft unseres Glaubens, sondern auch letztlich den Menschen nur schaden können.

7. Auch der Bereich von Umkehr und Versöhnung, von Buße und Beichte verlangt unsere ganz intensive Hirtensorge. Trotz vieler Anstrengungen ist der praktische Vollzug von Buße und Beichte immer noch in einer Krise. Dies gilt wohl auch für Euer Land. Man spricht zwar viel von Umkehr und Versöhnung im Blick auf gesellschaftliche Fehlentwicklungen und Konflikte, weicht aber der Änderung der eigenen Lebensrichtung und der persönlichen Umkehr des Herzens und damit der eigentlichen Versöhnung mit Gott und den Menschen aus. In hohem Maße sind Wirklichkeiten wie eine wirklich persönliche Gewissensentscheidung und konkrete Schulderfahrung sowie der Sinn für das, was die Heilige Schrift und die Lehre der Kirche Sünde nennen, verdunkelt und wenig wirksam. Die Folge ist, daß sehr viele Christen, die durchaus glauben möchten und auch viel Gutes tun, von der regelmäßigen Erneuerung ihres Lebens in Buße und Beichte abgekommen sind und sich mit sehr allgemeinen Bekenntnissen in gelegentlichen Bußgottesdiensten begnügen. Viele empfangen dann das Sakrament der Eucharistie in einer inneren Verfassung, die der Würde dieses kostbaren Vermächtnisses des Herrn widerspricht.  Tut darum alles, was möglich ist, um alle Glieder der Kirche, auch die Priester selbst, zu einer erneuten Hochschätzung von Umkehr und Versöhnung, konkretisiert in der persönlichen Beichte, zurückzuführen. Das Sakrament der Beichte ist das Geschenk Jesu Christi an seine Kirche, um seinem Ruf zur Umkehr ganzheitlich zu entsprechen.

8. Liebe Mitbrüder! Dies sind einige wichtige Bereiche aus dem christlichen Leben in den Pfarrgemeinden, an denen sich unser Hirtenamt bewähren muß. Bei der Begegnung mit den Bischöfen der dritten Gruppe in wenigen Tagen werde ich dann vor allem das Zeugnis christlichen Lebens in der Welt behandeln. Wenn uns eine solcher konzentrierter Überblick über die Schwerpunkte unseres Bischofsamtes den Atem zu nehmen droht, so schaut zusammen mit mir auf die unbezwingbare Zuversicht, die aus den Worten des Apostels Paulus an die Gemeinde von Thessalonich aufleuchtet:

”Freut Euch zu jeder Zeit! / Betet ohne Unterlaß! / Dankt für alles...! / Löscht den Geist nicht aus! / Verachtet prophetisches Reden nicht! / Prüft alles, und behaltet das Gute!“. 

Ja, es gibt auch heute viel Gutes zu berichten aus Euren Gemeinden.

Dem Dank an Gott hierfür möchte ich auch meinen Dank an Euch und alle Eure Mitarbeiter im ehrenamtlichen wie hauptamtlichen Dienst für diese vielfältigen guten Früchte des Geistes in Euren Diözesen anschließen. Einen besonderen brüderlichen Gruß und Glückwunsch sende ich über Euch an den verehrten Altbischof von Hildesheim, Heinrich Maria Janssen, der soeben seinen achtzigsten Geburtstag gefeiert hat.

Gott schenke Euch allen seinen reichen Segen und den verdienten Lohn des ”getreuen Knechtes“. 

 

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