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ANSPRACHE VON JOHANNES PAUL II.
ANLÄSSLICH DER VOLLVERSAMMLUNG DER
PÄPSTLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN

Montag, 13. November 2000

 

Herr Präsident,
verehrte Damen und Herren!

1. Mit Freude entbiete ich Ihnen meinen herzlichen Gruß anläßlich der Vollversammlung Ihrer Akademie, die durch den Kontext des Heiligen Jahres, in dem sie stattfindet, besondere Bedeutung und besonderen Wert erfährt. Mein Dank gilt an erster Stelle Ihrem Präsidenten, Prof. Nicola Cabibbo, für die liebenswürdigen Worte, die er im Namen aller an mich gerichtet hat. Ferner sei Ihnen allen gedankt für diese Begegnung und für den kompetenten und geschätzten Beitrag, den Sie zum Fortschritt der wissenschaftlichen Erkenntnis und für das Wohl der Menschheit leisten.

Die Reflexionen des vergangenen Jahres fortsetzend und gewissermaßen ergänzend, haben Sie sich in diesen Tagen mit dem anregenden Thema befaßt: »Die Wissenschaft und die Zukunft der Menschheit.« Es freut mich, festzustellen, daß die Studienwochen und Vollversammlungen in den letzten Jahren in immer deutlicherer Weise der Vertiefung jener Dimension der Wissenschaft gewidmet waren, die wir als die anthropologische oder humanistische bezeichnen könnten. Dieser wichtige Aspekt der wissenschaftlichen Forschung wurde auch anläßlich der Heiligjahrfeier der Wissenschaftler, die in diesem Mai stattgefunden hat, und jüngst während der Heiligjahrfeier der Universitätsdozenten behandelt. Ich wünsche mir, daß die Reflexion über eine Beziehung zwischen anthropologischen Wissensinhalten und der notwendigen Strenge wissenschaftlicher Forschung sich in bedeutsamer Weise zu entwickeln vermöge und klärende Hinweise für den ganzheitlichen Fortschritt des Menschen und der Gesellschaft bieten kann.

2. Wenn man von humanistischer Dimension der Wissenschaft spricht, geht der Gedanke zumeist zur ethischen Verantwortlichkeit wissenschaftlicher Forschung aufgrund der Rückwirkungen, die sich daraus für den Menschen ergeben. Das Problem ist real und hat zu einer ständigen Sorge seitens des Lehramtes der Kirche geführt, vor allem in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Es ist jedoch klar, daß es unzureichend wäre, die Reflexion über die humanistische Dimension der Wissenschaft auf eine einfache Bezugnahme auf diese Sorge zu beschränken. Das könnte sogar jemanden zu der Befürchtung verleiten, daß eine Art »humanistische Kontrolle über die Wissenschaft« bezweckt sei, als ob es unter der Voraussetzung einer dialektischen Spannung zwischen diesen beiden Wissensebenen Aufgabe der humanistischen Disziplinen wäre, die Anliegen und Ergebnisse der Naturwissenschaften äußerlich zu lenken und zu leiten, ausgerichtet auf die Planung immer neuer Forschungen und die Ausweitung der Horizonte ihrer Anwendungen.

Von einem anderen Gesichtspunkt aus ruft das Gespräch über die anthropologische Dimension der Wissenschaft vor allem eine klar erkenntnistheoretische Problematik auf den Plan. Es geht nämlich darum, hervorzuheben, daß der Beobachter stets ein aktiv Mitbetroffener ist beim Studium der beobachteten Sache. Das gilt nicht nur für die Forschungen im extrem Kleinen, wo die erkenntnismäßigen Grenzen, die sich aus dieser engen Verwicklung ergeben, schon vor langer Zeit aufgezeigt und philosophisch diskutiert worden sind. Es gilt ebenfalls auch für die jüngsten Forschungen im extrem Großen, wo die besondere philosophische Perspektive, die vom Wissenschaftler angewandt wird, in signifikanter Weise die Beschreibung des Kosmos beeinflussen kann, wenn Fragen nach dem Ganzen, nach dem Ursprung und dem Sinn des Universums berührt werden.

In allgemeinerer Hinsicht, wie uns die Wissenschaftsgeschichte ziemlich gut zeigt, erweisen sich sowohl die Formulierung einer Theorie als auch die Intuition, die viele Entdeckungen geleitet hat, oft als beeinflußt von vorgefaßten, im Subjekt bereits vorhandenen Ansichten philosophischer, ästhetischer, ja bisweilen selbst religiöser oder existentieller Natur. Aber auch in bezug auf diese Thematik würde das Gespräch über die anthropologische Dimension oder den humanistischen Wert der Wissenschaft nur einen Teilaspekt innerhalb des allgemeineren erkenntnistheoretischen Problems der Beziehung zwischen Subjekt und Objekt betreffen.

Schließlich wird von »Humanismus in der Wissenschaft« oder »wissenschaftlichem Humanismus « gesprochen, um die Wichtigkeit einer integrierten, ganzheitlichen Kultur hervorzuheben, die in der Lage ist, den Bruch zwischen den humanistischen Disziplinen und den empirischwissenschaftlichen Disziplinen zu überwinden. Wenn eine solche Trennung in der analytischen und methodologischen Phase einer jeden Forschung gewiß vorteilhaft ist, so ist sie weitaus weniger gerechtfertigt und nicht ohne Gefahren im Augenblick der Synthese, wenn das Subjekt sich befragt über die tiefen Gründe seines »Wissenschaft- Treibens« und die »humanen« Rückwirkungen der neugewonnenen Erkenntnisse, sei es auf persönlicher als auch auf kollektiver oder sozialer Ebene.

3. Doch jenseits dieser Problemstellungen läßt uns die Rede von der humanistischen Dimension der Wissenschaft das Hauptaugenmerk auf einen sozusagen »inneren« und »existentiellen« Aspekt richten, von dem der Forscher zutiefst mitbetroffen ist und der besondere Beachtung verdient. Wie ich vor Jahren in meiner Rede vor der UNESCO betont habe, besitzt die Kultur, und folglich auch die wissenschaftliche Kultur, in erster Linie einen »dem Subjekt innewohnenden« Wert (vgl. Ansprache an den Exekutivrat der UNESCO in Paris, 2. Juni 1980; Wort und Weisung [1980], S. 223–225). Jeder Wissenschaftler vervollkommnet durch seine persönlichen Studien und Forschungen sich selbst und sein Menschsein. Sie [die hier Anwesenden] sind maßgebende Zeugen dafür. Jeder von Ihnen könnte, wenn er an sein Leben und seine Erfahrung als Wissenschaftler denkt, sagen, daß die Forschung seine Persönlichkeit entwickelt und in gewisser Weise geprägt hat. Die wissenschaftliche Forschung stellt für Sie wie für viele andere den Weg zur persönlichen Begegnung mit der Wahrheit dar, ja vielleicht den bevorzugten Ort für die Begegnung mit Gott, dem Schöpfer des Himmels und der Erde. In dieser Betrachtungsweise gesehen, erstrahlt die Wissenschaft in all ihrem Wert als ein Gut, fähig eine Existenz zu motivieren, als eine große Erfahrung von Freiheit zur Wahrheit, als eine grundlegende Aufgabe des Dienstes. Durch sie fühlt jeder Forscher, daß er selbst zu wachsen imstande ist und anderen zu helfen vermag, in Menschlichkeit zu wachsen.

Wahrheit, Freiheit und Verantwortlichkeit verbinden sich miteinander in der Erfahrung des Wissenschaftlers. Dieser begreift in der Tat beim Beschreiten des Weges der Forschung, daß er nicht nur mit der von der Objektivität seiner Methode geforderten Unparteilichkeit vorzugehen hat, sondern auch mit intellektueller Redlichkeit, Verantwortlichkeit und – ich möchte sagen – einer Art »Ehrfurcht«, wie es sich für den menschlichen Geist geziemt, der sich der Wahrheit zu nähern sucht. Die einmalige Wirklichkeit des Menschen immer besser zu verstehen gegenüber den physikalisch-biologischen Prozessen der Natur, immer wieder neue Aspekte des Kosmos zu entdecken, mehr zu wissen von der Lage und Verteilung der Ressourcen, von der Dynamik in Gesellschaft und Umwelt, von der Logik des Fortschritts und der Entwicklung, übersetzt sich für den Wissenschaftler in die Pflicht, der ganzen Menschheit, der er angehört, besser zu dienen. Die ethischen und moralischen Verantwortlichkeiten, die mit der wissenschaftlichen Forschung verbunden sind, können daher als ein inneres Erfordernis der Wissenschaft als einer im vollen Sinn menschlichen Tätigkeit aufgefaßt werden und nicht als eine Kontrolle oder noch schlimmer, etwas von außen her Aufgedrängtes. Der Wissenschaftler weiß aufgrund seiner Kenntnisse ganz genau, daß die Wahrheit keine Handelsware, nicht verdunkelt oder freien Vereinbarungen oder Abkommen zwischen Machtkartellen, Gesellschaften oder Staaten überlassen werden kann. Er verspürt daher aufgrund seines Ideals des Dienstes an der Wahrheit eine besondere Verantwortung bei der Förderung der Menschheit, nicht allgemein oder ideell verstanden, sondern als Förderung des ganzen Menschen und von alldem, was wahrhaft menschlich ist.

4. Eine so verstandene Wissenschaft kann ohne Schwierigkeiten der Kirche begegnen und mit ihr einen fruchtbaren Dialog eröffnen, denn gerade der Mensch ist ja »der erste und grundlegende Weg der Kirche« (Redemptor hominis, 14). Die Wissenschaft kann dann mit Interesse auf die biblische Offenbarung blicken, die den letzten Sinn der Würde des nach dem Bild Gottes geschaffenen Menschen enthüllt. Schließlich kann sie vor allem Christus begegnen, dem Sohn Gottes, dem menschgewordenen Wort, dem vollkommenen Menschen. Dem nachzufolgen läßt einen auch selbst mehr Mensch werden (vgl. Gaudium et spes, 41).

Feiert die Kirche etwa nicht dieses Im-Mittelpunkt-Stehen Christi im Großen Jubiläum des Jahres 2000? Die Kirche, die die Einzigkeit und Zentralität des menschgewordenen Gottes betont, fühlt sich mit einer großen Verantwortung beauftragt: die göttliche Offenbarung anzubieten, die ohne »irgend etwas von alledem abzulehnen, was in den verschiedenen Religionen wahr und heilig ist« (Nostra aetate, 2), Christus, den »Weg und die Wahrheit und das Leben« (Joh 14,6) verkündet als Geheimnis, in dem alles seine Fülle und Vollendung findet.

In Christus, Mitte und Höhepunkt der Geschichte (vgl. Tertio millennio adveniente, 9–10), ist auch die Norm für die Zukunft der Menschheit enthalten. In Ihm erkennt die Kirche die letzten Bedingungen, damit der wissenschaftliche Fortschritt auch wahrer menschlicher Fortschritt sei. Es sind die Bedingungen der Liebe und des Dienstes, die allen Menschen ein wirklich menschliches Leben gewährleisten, das imstande ist, sich zu erheben bis hin zum Absoluten – im Öffnen nicht nur für die Wunder der Natur, sondern auch für das Geheimnis Gottes.

5. Sehr verehrte Damen und Herren! Ich lege Ihnen diese Überlegungen über den anthropologischen Gehalt und die humanistische Dimension der wissenschaftlichen Tätigkeit nahe und wünsche von Herzen, die Gespräche und Studien dieser Tage mögen fruchtbar sein für Ihren akademischen und wissenschaftlichen Einsatz. Mein Wunsch ist, daß Sie mit Weisheit und Liebe zum kulturellen und geistigen Wachstum der Völker beizutragen vermögen.

Dafür rufe ich über Sie das Licht und die Kraft des Herrn Jesus, wahrer Gott und wahrer Mensch, herab, in dem die Strenge der Wahrheit und die Gründe des Lebens miteinander verbunden sind. Gerne versichere ich Ihnen ein Gebetsgedenken für Sie und Ihre Arbeit und erteile jedem von Ihnen den Apostolischen Segen, den ich auch auf alle Ihnen lieben Menschen ausdehne.

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