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AUDIENZ FÜR DIE NEUERNANNTE BOTSCHAFTERIN 
DER TÜRKEI BEIM HEILIGEN STUHL,
FILIZ DINÇMEN, ANLÄßLICH DER ÜBERGABE 
IHRES BEGLAUBIGUNGSSCHREIBENS


Freitag, 7. Dezember 2001

 

Exzellenz,

mit großer Freude heiße ich Sie im Vatikan willkommen und nehme Ihr Beglaubigungsschreiben als Außerordentliche Botschafterin und Bevollmächtigte Ministerconseillère der Türkei beim Hl. Stuhl entgegen. Ich danke Ihnen für die Grüße, die Sie im Namen von Präsident Ahmet ecdet Sezer überbringen, und möchte Sie bitten, Seiner Exzellenz, der türkischen Regierung und dem gesamten türkischen Volk meine guten Wünsche zu übermitteln und sie meiner Gebete für die Nation in diesen unsteten und wirtschaftlich schwierigen Zeiten zu versichern.

Mein Besuch in Ihrem Land im Jahr 1979 ermöglichte mir, aus erster Hand eine Gesellschaft zu erleben, die mit komplexen Fragen der Identität in einer sich wandelnden Welt ringt und dabei zeigt, daß es für die Völker möglich ist, in einem Geist zusammenzuleben, den Sie selbst als Verständnis und Versöhnung zwischen den verschiedenen Kulturen bezeichnet haben. Es war mir auch möglich, einem Land die Ehre zu erweisen, das, wie Sie angemerkt haben, in der Entwicklung des Christentums eine wichtige Rolle gespielt hat. Dort wurde der hl. Paulus geboren, und dort verkündeten er und andere Apostel das Evangelium; dort nahmen sich viele der großen Kirchenväter in späteren Jahrhunderten die apostolische Tradition zur Grundlage ihres Wirkens; und dort trafen die ersten Konzilien weitreichende Entscheidungen, die den christlichen Glauben bestimmten. Jener denkwürdige Besuch hinterließ in mir nicht nur eine tiefe Achtung vor der Vergangenheit der Türkei, sondern auch davor, was die Nation in neuerer Zeit geleistet hat.

Im Laufe des vergangenen Jahrtausends waren die Beziehungen zwischen der Türkei und dem Hl. Stuhl nicht immer ungetrübt. Glücklicherweise wurden im 20. Jahrhundert neue Versuche unternommen zum Aufbau konstruktiver Beziehungen auf der Grundlage jenes Vertrauens und jener Achtung, die mitunter eine »Reinigung des Gedächtnisses«, wie ich sie genannt habe, erfordern. Die Notwendigkeit einer solchen Reinigung ist überall offenkundig, denn in so vielen Teilen der Welt erleben wir, daß die Wunden vergangenen Leids von Generation zu Generation weiter schmerzen. Ermutigende Zeichen eines neuen freundschaftlichen Verhältnisses waren der Besuch des Präsidenten für Religiöse Angelegenheiten, den ich am 16. Juni 2000 zu meiner großen Freude im Vatikan empfing, und die Feierlichkeiten in Istanbul zu Ehren meines verehrten Vorgängers Papst Johannes XXIII. im Dezember des letzten Jahres, auf die Sie hingewiesen haben.

Diese Anlässe mit hohem Symbolwert tragen dazu bei, die Entschlossenheit der Türkei und des Hl. Stuhls, für das Wohl der internationalen Gemeinschaft zusammenzuarbeiten, zu festigen. Die Ereignisse in jüngster Zeit verdeutlichen, daß eine solche Kooperation um so notwendiger ist, wenn neue Konflikte, von denen es in Ihrer Region nicht wenige gibt, zu den bestehenden Auseinandersetzungen hinzukommen. In einer Zeit, in der die Gefahr wachsender Spannungen zwischen unterschiedlichen kulturellen und religiösen Traditionen besteht, hat Ihr Land eine besondere Rolle zu erfüllen.

Die Türkei steht sowohl in geographischer als auch in kultureller Hinsicht zwischen Ost und West, und dies ist der vorrangigste Bereich, in dem sie eine bedeutende Brücke sein kann. Die Gesellschaft ist größtenteils muslimisch und tief vom großen religiösen und kulturellen Erbe geprägt, das seit den frühen Jahrhunderten des Islam bis über die seldschukische und die osmanische Epoche weitergegeben wurde. Die Türkei blickt aber auch auf den Westen mit seinen christlichen Wurzeln, und es gibt sowohl Gemeinschaften türkischer Einwanderer in vielen westlichen Städten als auch christliche Gemeinschaften in der Türkei selbst. Die jahrhundertealte wechselseitige Beziehung zwischen dem christlichen Westen und dem muslimischen Osten – die intensiver und vielschichtiger ist, als oftmals anerkannt wird – setzt sich in der Türkei weiter fort. Zu einer Zeit, da wir der Sache des Friedens durch die Förderung des Dialogs zwischen den religiösen Kulturen der Welt, insbesondere zwischen dem Islam und dem Christentum, dienen müssen, richtet die internationale Gemeinschaft hoffnungsvoll den Blick auf Ihre Nation.

Trotzdem ist die Türkei auch ein erklärtermaßen säkularer Staat; diesbezüglich hat sich die islamische Kultur jenen Kräften der Modernisierung geöffnet, die gewöhnlich mit dem Westen in Verbindung gebracht werden und die zu einer Unterscheidung zwischen Religion und Politik, zwischen dem sakralen und dem weltlichen Bereich geführt haben. Dadurch wurde die Türkei zu dem, was Sie selbst als eine »Synthese zwischen Ort und West« bezeichneten. Unterscheidung kann in diesem Zusammenhang allerdings nicht vollkommene Trennung bedeuten, und Ihr Land ist in einer guten Position, um als eine Gesellschaft zu dienen, die Brücken zwischen Religion und Politik baut. Denn wenn die Unterscheidung zur Trennung wird, verschwindet die transzendente Dimension aus dem öffentlichen Leben. Dann tritt der Totalitarismus mit seiner wohlbekannten Mißachtung der Freiheit und Menschenwürde in Erscheinung. Freiheit der Kultausübung nach eigener Entscheidung

Für einen weltlichen Staat besteht die Herausforderung darin, gegenüber dem Transzendenten ernsthaft aufgeschlossen zu sein: Dies bedeutet, auf der Grundlage einer Sichtweise zu handeln, die die menschliche Person als Abbild Gottes erkennt, der deshalb unveräußerliche und universale Rechte zu eigen sind. Es existieren tatsächlich bestimmte Rechte, die universal sind, weil sie in der Natur des Menschen und nicht in den Eigenheiten irgendeiner Kultur wurzeln.

Eines der grundsätzlichsten dieser Rechte ist die Religionsfreiheit. Sie beinhaltet die Freiheit der religiösen Kultausübung nach eigener Entscheidung, geht aber noch über sie hinaus. Die Religion kann nämlich nicht in den rein privaten Bereich verbannt werden. In einem weltlichen Staat, der gegenüber dem Transzendenten offen ist, umfaßt Religionsfreiheit auch das Recht, persönliche Werte ins öffentliche Leben einfließen zu lassen in der Überzeugung, daß diese Werte zum gemeinsamen Bemühen beitragen hinsichtlich des Aufbaus einer Gesellschaft, die jeder Dimension des Menschen aufgeschlossen ist.

In der Türkei stellen die Katholiken eine kleine Minderheit dar. Sie sehen keinerlei Widerspruch darin, gleichzeitig Katholiken und Türken zu sein, und sie erwarten – ebenso wie ich –, den Rechtsstatus der Kirche anerkannt zu sehen. Sie sind überzeugt, daß sie in ihrem Heimatland auch in Zukunft die Achtung gegenüber Minderheiten erfahren werden, die »…als der Prüfstein für ein harmonisches gesellschaftliches Zusammenleben und als Beweis für die von einem Land und seinen Einrichtungen erreichte gesellschaftliche Reife angesehen werden [muß ]« (Botschaft zum Weltfriedenstag 1989, 12; in O. R. dt. , Nr. 52/53, 22. 12. 1988). Auch dies ist ein Aspekt, bei dem die Türkei als Brücke wirken kann, indem sie deutlich macht, daß die berechtigte Sorge um die Einheit der Nation nicht im Gegensatz zur Achtung der Rechte von Einzelpersonen und Minderheiten steht. Im Gegenteil: Diese im Gesetz verankerte Achtung ist die sicherste Gewähr für den Zusammenhalt und die Sicherheit eines Landes.

Exzellenz, da Sie nun Ihre Verantwortung in der beim Hl. Stuhl akkreditierten diplomatischen Gemeinschaft übernehmen, spreche ich Ihnen meine besten Wünsche für den Erfolg Ihres wichtigen Auftrags aus, und ich bin zuversichtlich, daß dies die guten Beziehungen zwischen uns weiter festigen wird. Ich versichere Ihnen, daß die verschiedenen Einrichtungen der Römischen Kurie immer bereit sein werden, Ihnen zur Seite zu stehen. Auf Sie und auf das geliebte Volk der Türkei rufe ich von ganzem Herzen den reichen Segen des allmächtigen Gottes herab.

 

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