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ANSPRACHE VON JOHANNES PAUL II. AN DEN NEUEN BOTSCHAFTER DER REPUBLIK INDIEN

Freitag, 13. Dezember 2002

 

Eure Exzellenz!

Mit Freude nehme ich das Beglaubigungsschreiben entgegen, mit dem Sie als außerordentlicher und bevollmächtigter Botschafter von Indien beim Hl. Stuhl akkreditiert werden. Ich danke Ihnen vielmals für die Grüße, die Sie mir im Namen von Seiner Exzellenz Dr. Abdul Kalam, des neu gewählten Präsidenten von Indien, übermitteln, und möchte Sie bitten, ihm, der Regierung und dem Volk Ihres geschätzten Landes meine besten Wünsche zukommen zu lassen. 

Wie Eure Exzellenz erwähnt haben, gab es in Indien seit den frühesten Zeiten des Christentums eine starke christliche Präsenz, die ihren Beitrag zu der reichen und mannigfaltigen Kultur des Subkontinentes geleistet hat. In jüngerer Zeit führte der Kontakt zwischen dem unabhängigen Indien und dem Hl. Stuhl zur Aufnahme von diplomatischen Beziehungen, die durch Ihre Gegenwart heute bekräftigt und gestärkt werden. Diese Beziehungen sind Ausdruck des weiten Bereiches gemeinsamer Zielsetzungen bezüglich jener wichtigen Themen der internationalen Politik, die uns im Dienst am Gemeinwohl vereinen.

Da in unseren Tagen die internationalen Beziehungen angesichts ernster Bedrohungen für den Zusammenhalt und den Frieden angespannt sind, bietet sich uns ein weites Feld, um auf internationaler Ebene für eine gut durchdachte und grundsätzliche Behandlung jener Themen zusammenzuarbeiten, die weiterhin Spannungen zwischen den Völkern und Nationen verursachen.

In lebhafter Erinnerung behalte ich die Eindrücke von meinen Pastoralreisen nach Indien in den Jahren 1985 und 1999, als ich aus erster Hand Zeuge sein konnte für die zwischen den Völkern mit verschiedenen kulturellen und religiösen Hintergründen bestehende Harmonie und Zusammenarbeit. Diese Harmonie ist eine der Säulen, auf denen die Einheit der Nation aufgebaut wurde, und sicher muß sie heute erneut bekräftigt werden, wenn großer Schaden und Unrecht vermieden werden sollen. Bei zahlreichen Gelegenheiten habe ich von der traditionsreichen Rolle Indiens als Wiege und Nährboden von Kulturen und Traditionen gesprochen, die im menschlichen Geist tiefe Spuren hinterlassen haben und die auch jetzt wichtige Quellen der Weisheit und kreativer Impulse sind, die in nicht geringer Weise dazu beitragen können, einigen negativen Konsequenzen des gegenwärtigen Globalisierungsprozesses entgegenzuwirken. Ich beziehe mich auf die Gefahr der Kommerzialisierung beinahe aller Aspekte des Lebens, die so weit geht, daß das Ziel des Profits und nicht der Wert der menschlichen Person die Politik und die Verhaltensweisen bestimmt. 

Eines der immer wiederkehrenden Themen meines Pontifikates besteht in der festen Überzeugung, daß echter menschlicher Fortschritt nur dann gesichert werden kann, wenn es einen wirksamen und verbürgten Respekt vor der unveräußerlichen Würde und der Rechte jeder menschlichen Person gibt. Die Welt ist noch weit entfernt davon, dieses Ziel zu erreichen, wie sich leicht ablesen läßt an den vielen Formen der Ungerechtigkeit und der Diskriminierung, die den Schwachen in allzu vielen Teilen der Welt zugefügt werden. Es ist die schwerwiegende Pflicht jedes demokratischen Systems, die grundlegenden Menschenrechte und jede Kategorie dieser Rechte zu fördern und zu schützen. Dies gilt nicht nur für jene Rechte, die sich auf das materielle Überleben beziehen, sondern auch auf den menschlichen Geist mit seiner unablässigen Suche nach Wahrheit und Freiheit. Heute bedarf die internationale Gemeinschaft besonders dringend eines erneuerten und effektiveren Einsatzes, um den Bedürfnissen so vieler Menschen zu entsprechen, die eine Linderung ihrer Leiden suchen und nach einer geeigneten Ausbildung streben, die sie befähigt, im Leben des Staates und der Nation, der sie angehören, eine aktive Rolle zu übernehmen.

Ein wesentlicher Bestandteil der Entwicklung, die wirklich dem Wohl des einzelnen und der Völker dient, ist die Respektierung der Religionsfreiheit, denn sie ist jenes Recht, das die persönliche und unumschränkte innere Freiheit des Individuums berührt. Nichts kann schädlicher sein für die gesellschaftliche Harmonie und den Frieden als die Verweigerung dieses Prüfsteins der Menschenrechte. Indien hat ausgeprägte Traditionen hinsichtlich der Respektierung religiöser Unterschiede. Meine Hoffnung ist, Herr Botschafter, daß die Entwicklung gegenteiliger Tendenzen zum Wohl der Nation verhindert wird und daß durch gesetzliche Regelungen gewährleistet wird, daß Verletzungen dieses Prinzips nicht geduldet werden.

Die letzten Jahre waren für Indien und seine Nachbarn eine schwierige Zeit, da regionale Spannungen und Gewalttätigkeiten für viele Menschen den Verlust des Lebens und der Heimat zur Folge hatten. Der Friede ist ein Geschenk, das auf dem Vertrauen gründet und standhaft aufgebaut werden muß. In meiner Ansprache vor der 15. Generalversammlung der Vereinten Nationen im Jahr 1995 habe ich gesagt: »Wir müssen lernen, keine Angst zu haben, und zu einem Geist der Hoffnung und Zuversicht zurückfinden. Hoffnung ist kein oberflächlicher Optimismus, diktiert von der naiven Zuversichtlichkeit, daß die Zukunft notwendigerweise besser sei als die Vergangenheit. Hoffnung und Zuversicht sind die Voraussetzung einer verantwortlichen Arbeitsamkeit und finden Nahrung im innersten Heiligtum des Gewissens, wo der Mensch allein ist mit Gott« (in: O.R. dt., Nr. 41, 13.10.1995, S. 4, 16). Ich möchte Eurer Exzellenz versichern, daß die katholische Kirche in Indien weiterhin für diese Ziele beten und arbeiten wird. Die Katholiken teilen mit den Mitbürgern anderer Traditionen die tiefe Sehnsucht nach einem dauerhaften Frieden und nach Harmonie in einer Gesellschaft, die die Würde und die Rechte aller ihrer Mitglieder achtet und fördert.

Herr Botschafter, ich vertraue darauf, daß, wenn Sie nun Ihr Amt antreten, die langjährigen Bande der Freundschaft und der Zusammenarbeit zwischen Indien und dem Hl. Stuhl weiter gestärkt und bereichert werden. Ich wünsche Ihnen alles Gute und versichere Sie, daß die Ämter der Römischen Kurie immer bereit sein werden, Ihnen zu helfen. Auf Eure Exzellenz und Ihre Mitbürger rufe ich den reichen Segen des allmächtigen Gottes herab.

 

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