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JOHANNES PAUL II.

AUDIENZ FÜR DEN NEU AKKREDITIERTEN BOTSCHAFTER DER EHEMALIGEN JUGOSLAWISCHEN REPUBLIK MAZEDONIEN BEIM HL. STUHL, IVAN ANGELOV

Freitag, 28. Juni 2002

 

Herr Botschafter

Anläßlich der Überreichung des Beglaubigungsschreibens, das Sie als außerordentlichen und bevollmächtigten Botschafter der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien beim Hl. Stuhl akkreditiert, heiße ich Sie herzlichst willkommen. Ich danke Ihnen für die freundlichen Glückwünsche, die Sie, Exzellenz, im Namen des Präsidenten der Republik, Boris Trajkovski, mir übermittelt haben. Zudem bitte ich Sie, ihm liebenswürdigerweise meine besten Wünsche zu überbringen, die ich mit einem besonderen Gebet an Gott verbinde, damit das geliebte Volk Ihres Landes sich weiterhin voll Weisheit für die wahre menschliche Entwicklung der Nation sowie für Frieden und Gerechtigkeit in der Region einsetzen möge. So werden sich Ihre Mitbürger als treue Erben jener reichen christlichen Tradition erweisen, die ihnen der Apostel Paulus und die heiligen Brüder Cyrill und Methodius hinterlassen haben.

Die heutige feierliche Überreichung des Beglaubigungsschreibens findet in einem internationalen Kontext statt, der alles andere als friedlich ist. In verschiedenen Teilen der Welt beobachten wir beunruhigende Gewaltakte, die häufig auf alte Feindseligkeiten und die Versuchung zurückzuführen sind, vergangene Streitigkeiten neu anzustacheln.

Bedauerlicherweise hat auch Ihr Land in der Vergangenheit schmerzhafte Prüfungen durchleben müssen. In enger Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen der internationalen Gemeinschaft haben sich die Autoritäten Ihrer Nation eingehend mit diesen Schwierigkeiten befaßt. Notwendige verfassungsrechtliche Reformen wurden durchgeführt und Gesetze erlassen, die durch die stärkere Beteiligung der verschiedenen Teile der Bevölkerung auf unterschiedlichen Ebenen des politischen Prozesses zur Achtung der Minderheitenrechte führen. Das wird dazu beitragen, um auf dem Weg des Dialogs, der Versöhnung und des friedlichen Zusammenlebens weiterzugehen.

Auf diesem Weg erinnert die Kirche immerfort daran, daß die Aufmerksamkeit in erster Linie auf das Herz des Menschen gerichtet sein muß, denn dort können sich Haß und der Geist der Gewalttätigkeit einnisten, jene Gefühle also, die dem Entstehen jeder Art von Unterdrückung zugrunde liegen. Daher müssen wir vom Herzen des einzelnen ausgehen, um derartige Empfindungen auszulöschen und sie durch eine Haltung der Brüderlichkeit und Offenheit gegenüber unseren Mitmenschen zu ersetzen, in denen wir eher das sehen sollen, was vereint und nicht das, was entzweit. In Wirklichkeit muß eine Gesellschaft, die nach wahrer Zivilisation strebt und zum Fortschritt der Völker beitragen möchte, in all ihren Gliedern ein objektives und unvoreingenommenes Verständnis für den anderen fördern. Ein solches Verstehen ist unermeßlich wertvoll, um den Menschen dabei zu helfen, kulturelle und religiöse Traditionen zu akzeptieren, die sich von den eigenen unterscheiden. In der Tat ist dies der erste Schritt zur Versöhnung, denn die Achtung der Verschiedenheit ist eine unerläßliche Bedingung für eine echte, aufrichtige Beziehung zwischen Einzelpersonen und Gruppen. Eine vom Ethnozentrismus geprägte Kultur wird, auch wenn sie vorgibt, die anstehenden Probleme zu lösen, lediglich dazu führen, Schwierigkeiten zu verschärfen und weitere Spaltungen zu verbreiten. 

Die Kirche widmet der sozialen Dimension des menschlichen Lebens größte Aufmerksamkeit, und diese Sorge um das Wohl der Gesellschaft ist ein wesentlicher Bestandteil der christlichen Botschaft (vgl. Centesimus annus, 5). Daher fordert sie ihre Mitglieder auf, aktiv am politischen, wirtschaftlichen und sozialen Leben der jeweiligen Länder teilzunehmen, um in ihnen das Licht des Glaubens und die im Evangelium verwurzelte Botschaft der Versöhnung und der Vergebung zu verbreiten.

Die Anforderungen der Gerechtigkeit verlangen, daß, jedesmal wenn ein Fehler begangen oder Böses getan worden ist, dies eingestanden und bestmöglich wiedergutgemacht werden muß. Die menschliche Gerechtigkeit aber gründet letztlich auf dem Gesetz Gottes und seinem Heilsplan für die Menschheit (vgl. Dives in misericordia, 14). In ihrer vollen Bedeutung beschränkt sich die Gerechtigkeit daher nicht darauf, festzulegen, welche der streitenden Parteien im Recht ist, sondern sie setzt auch bei jedem einzelnen voraus, daß die wahre Harmonie mit Gott, dem Nächsten und sich selbst wiederhergestellt wird. Aus diesem Grund besteht kein Widerspruch zwischen Vergebung und Gerechtigkeit; die Vergebung schmälert die Anforderungen der Gerechtigkeit nicht, sondern sie strebt vielmehr danach, durch ein neues Verantwortungsgefühl und, wo immer möglich, durch Solidarität mit den Opfern vergangener Ungerechtigkeiten, die Personen und Gruppen in die Gesellschaft und die Staaten in die Völkergemeinschaft zu reintegrieren.

Aus diesem Grund müssen sich alle Glieder der Gesellschaft gemeinsam für den Aufbau eines zivilen Zusammenlebens einsetzen, bei dem die Würde der Person und die Achtung der menschlichen Rechte zur maßgebenden Verhaltensweise aller wird: für den einzelnen Menschen, die Regierungen und die internationalen Institutionen. Ja, wahrer Friede ist Frucht der Gerechtigkeit, »sittliche Tugend und rechtliche Garantie, die über die volle Achtung der Rechte und Pflichten und über die gerechte Aufteilung von Nutzen und Lasten wacht« (Botschaft zum Weltfriedenstag 2002, 3; in: O.R. dt., Nr. 51/52, 21.12.2001). Dies soll der grob umrissene Rahmen der verschiedenen Prioritäten sein, die die Regierung – in der langen Tradition der Toleranz und der Achtung gegenüber den verschiedenen von Ihnen erwähnten Volksgruppen – verfolgt. Hierbei soll sie danach streben, ein neues Zeitalter des Friedens und der Stabilität für die Nation einzuleiten.

Mit Freude versichere ich Ihnen, daß die Katholiken trotz ihrer Stellung als kleine Minderheit im Land zum Aufbau der bürgerlichen Gesellschaft, insbesondere zur Förderung und zum Schutz der Menschenrechte, zur Unterstützung der Armen und zur Erziehung der Jugend beitragen werden.

Herr Botschafter, die Entscheidung Ihrer Regierung, einen in Rom residierenden Botschafter beim Hl. Stuhl zu ernennen, wird die bereits bestehenden Bande der Freundschaft und der Verständigung weiter festigen. Zweifellos wird Ihre Amtszeit in dieser Hinsicht dazu dienen, diese Beziehung zu vertiefen. Ich möchte Ihnen versichern, daß die verschiedenen Einrichtungen des Hl. Stuhls in jeder Weise dazu beitragen werden, Ihnen die Erfüllung Ihres Auftrags zu erleichtern. Mit diesen Empfindungen erflehe ich für Sie und das geliebte Volk der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien den reichen Segen des Allerhöchsten.

 

© Copyright 2002 - Libreria Editrice Vaticana

 



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