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ANSPRACHE VON JOHANNES PAUL II.
AN DEN NEUEN BOTSCHAFTER DER REPUBLIK UNGARN 
BEIM HL. STUHL

Donnerstag, 24. Oktober 2002

 

Herr Botschafter!

1. Mit Freude empfange ich Eure Exzellenz anläßlich der Übergabe des Schreibens, das Sie als außerordentlichen und bevollmächtigten Botschafter von Ungarn beim Hl. Stuhl akkreditiert, und ich danke Ihnen für Ihre höflichen Worte. Ich bitte Sie, Seiner Exzellenz Herrn Ferenc Mádl, dem Präsidenten der Republik, und den Regierungsmitgliedern meinen Dank für ihre herzlichen Grüße zu übermitteln. Gerne denke ich an den jüngsten Besuch des Präsidenten der Republik im Vatikan zurück, und ich versichere ihn meiner besten Wünsche für seine Person, für die Verantwortlichen des Landes und für das ganze ungarische Volk.

2. Sie, Herr Botschafter, haben soeben an die reiche Geschichte Ihres Landes und an seine Beziehungen zum Apostolischen Stuhl erinnert. Nach den schmerzvollen Wunden, die im vergangenen Jahrhundert durch die beiden Weltkriege gerissen wurden, und nach den dunklen Jahren der kommunistischen Herrschaft hat Ungarn die Möglichkeit zur freien Gestaltung seiner Zukunft wiedergefunden. Im Laufe des Heiligen Jahres hat es die Tausendjahrfeier der Gründung der Nation und ihrer Taufe unter dem heiligen König Stefan I. feierlich begangen; es war eine außergewöhnliche Gelegenheit, um die nationale Einheit zum Ausdruck zu bringen und daran zu erinnern, wie sehr das Land aus seinen religiösen Wurzeln die Kraft zum Aufbau einer Gesellschaft schöpft, in der jeder anerkannt und geachtet wird und die Möglichkeit hat, sich am demokratischen Leben des Landes zu beteiligen. Wie Sie herausgestellt haben, teilt die Kirche die Hoffnungen und Leiden des ungarischen Volkes, und sie hat es durch die zahlreichen Schwierigkeiten im Laufe seiner Geschichte begleitet.

Heute freut auch die Kirche sich darüber, ihre Handlungsfreiheit innerhalb des ungarischen Volkes wiedergewonnen zu haben – insbesondere durch die Abkommen, die mit den verschiedenen Regierungen unterzeichnet wurden. Sie belegen die herzlichen, von Achtung und gegenseitigem Vertrauen geprägten Beziehungen, die zwischen der katholischen Kirche und den Autoritäten des Landes wieder aufgenommen worden sind.

3. Ungarn hat mit einem umfassenden Prozeß der Reformen und des Wiederaufbaus im Leben der Nation und all ihrer Mitglieder begonnen. Unter ihnen sind auch die Familien, die Keimzellen des gesellschaftlichen Lebens, denen Hilfe und Unterstützung entgegengebracht werden muß, vor allem wenn die bedürftigsten unter ihnen von wirtschaftlichen Schwierigkeiten betroffen sind. Durch ihre vielfältigen Einrichtungen leistet die Kirche ihren spezifischen Beitrag zur gegenseitigen Hilfeleistung und zum Teilen mit den Ärmsten der Gesellschaft, und sie versäumt nicht, der Institution Familie Rückhalt zu geben, indem sie – vor allem durch ihre Lehre – auf die Größe von Ehe und Familie hinweist.

Die Zukunft eines Volkes wird vorbereitet durch die Aufmerksamkeit, die es den jungen Menschen und ihrer Erziehung widmet. Vor allem ist es notwendig, den Jugendlichen die bürgerlichen, sittlichen und spirituellen Werte zu vermitteln, die durch viele Generationen hindurch die Seele des ungarischen Volkes ausgezeichnet haben; gleichzeitig müssen sie darauf vorbereitet werden, in einer offenen und säkularisierten, von Individualismus und der Anziehungskraft materieller Werte gekennzeichneten Welt zu leben. Auch wenn ein solches erzieherisches Wirken sich in erster Linie auf die Familien stützt, so appelliert es doch auch an die Verantwortlichkeit der Nation, nämlich durch das Schulwesen und all jene, die in diesem Bereich tätig sind. Die Kirche, die sich immer besonders der jungen Menschen angenommen hat, verfügt in Ihrem Land über ein großes Netz von Schulen, durch die sie sich an diesem Erziehungswerk beteiligt, und Sie werden in dieser Hinsicht stets mit ihrer Hilfsbereitschaft rechnen können.

4. Herr Botschafter, Ihr Land hat inzwischen seine wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Verbindungen zur Gesamtheit der europäischen Nachbarländer wiederhergestellt und für einen zeitnahen Beitritt zur Europäischen Union kandidiert. Der Hl. Stuhl begrüßt die Aussichten auf diese Erweiterung der Union, die einen schrittweisen Wiederaufbau der Einheit des europäischen Kontinents ermöglichen soll, eine Einheit, die aufgrund der Teilung von Yalta und der Verschlossenheit des Sowjetblocks lange Zeit zerstört war. Der freie Personen- und Warenverkehr, aber auch der Dialog der Kulturen und der Austausch geistiger Reichtümer zwischen den Staaten sind allein in der Lage, die Ängste, die Abschottung und die nationalistische Engstirnigkeit zu überwinden, die noch in jüngster Vergangenheit so viel Feindseligkeit auf Ebene des Kontinents und vor allem auf weltweiter Ebene verursacht haben.

Ihre Nation weiß dies sehr wohl, und ihre neuere Geschichte hat sie besonders für die Achtung der Minderheiten sensibilisiert, denn viele Bürger ungarischer Abstammung und Kultur leben heute außerhalb ihres eigenen Landes. Das ist eine ständige Sorge, die die Verantwortlichen dazu drängt, immer mehr nach Möglichkeiten zum Dialog mit ihren Nachbarn zu suchen, um ihren ursprünglichen Landsleuten die bestmöglichen Lebensbedingungen unter Achtung ihrer eigenen Kultur zu sichern. Es ist die gleiche Sorge, die im Gegenzug dazu anspornt, jenen Menschen Aufmerksamkeit und Respekt entgegenzubringen, die auf ungarischem Boden anderen kulturellen Minderheiten angehören. Der Apostolische Stuhl ist an dieser kulturellen Vielfalt interessiert und hört nicht auf, sowohl die Verantwortlichen der Nationen als auch die religiösen Führer zu einem mutigen Dialog aufzurufen, denn nur dieser Dialog vermag es, die Konflikte zwischen den Menschen zu überwinden und für alle eine Zukunft der Gerechtigkeit und des Friedens zu bereiten.

Mein Wunsch ist, daß Ihr Land durch das Zeugnis seiner Geschichte und seiner reichen kulturellen Identität dazu beitragen möge, das Europa von morgen aufzubauen – nicht nur als ein großer Markt materieller Güter, sondern als lebendiger Ausdruck vielfältiger kultureller und spiritueller Schätze, die jeder Nation eigen sind und im Dienst der Union zusammengelegt werden. Darin liegt eine wichtige Verantwortung der europäischen Staaten gegenüber den Völkern anderer Kontinente, die ebenfalls ihre Reichtümer und Kräfte vereinen möchten, um der Entwicklung und dem Frieden zu dienen. 

5. Gestatten Sie mir, Exzellenz, durch Sie die katholische Gemeinschaft Ungarns und ihre Hirten zu grüßen. Ich versichere sie des Gebets und der geistigen Nähe des Nachfolgers Petri und ermutige sie, die Worte des Evangeliums unermüdlich zu bezeugen, vor allem bei den Jugendlichen, die sich bemühen, ihrem Leben Sinn zu geben, und die sich im Dienst für ihre Brüder und Schwestern engagieren möchten. Ich weiß, daß die Katholiken, ihrer Berufung entsprechend, voll am Leben der Nation mitwirken. Sie sollen dem Beispiel jener großen Heiligen treu bleiben, die im Laufe ihrer Geschichte gelebt haben, wie der hl. Stefan, die hl. Elisabeth, der Bischof Vilmos Apor, den ich kürzlich seligsprechen durfte, sowie alle Glaubenszeugen aus der Zeit der Verfolgungen durch das kommunistische Regime, unter denen die Gestalt des verstorbenen Kardinals Jószef Mindszenty ehrwürdigen Andenkens herausragt.

6. In der Stunde, da Eure Exzellenz Ihr hohes Amt antreten, versichere ich Sie der aufmerksamen Hilfsbereitschaft aller meiner Mitarbeiter, und ich wünsche Ihnen ein erfolgreiches Wirken im Dienste der guten Beziehungen zwischen Ungarn und dem Hl. Stuhl!

Auf Eure Exzellenz, Ihre Familie, Ihre Mitarbeiter und auf das gesamte ungarische Volk rufe ich den Segen Gottes in Fülle herab.

 

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