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ERÖFFNUNG DER PASTORALTAGUNG DER DIÖZESE ROM
IN DER BASILIKA ST. JOHANN IM LATERAN

ANSPRACHE VON BENEDIKT XVI.

Montag, 11. Juni 2007

 

Liebe Brüder und Schwestern!

Nach den Pastoraltagungen der beiden vorangegangenen Jahre gibt mir die diesjährige Tagung unserer Diözese zum dritten Mal Gelegenheit, euch zu begegnen und mein Wort an euch alle zu richten. Ich greife dabei das Thema auf, das im kommenden Pastoraljahr für die Kirche in Rom im Mittelpunkt stehen wird, wobei die Arbeiten des jetzt zu Ende gehenden Jahres fortgesetzt werden. Ich begrüße jeden von euch sehr herzlich, die Bischöfe, Priester, Diakone, Ordensmänner, Ordensfrauen und Laien, die ihr großherzig an der Sendung der Kirche mitwirkt. Insbesondere danke ich dem Kardinalvikar für die Worte, die er im Namen aller an mich gerichtet hat.

Die Tagung steht unter dem Thema »Jesus ist der Herr. Zum Glauben, zur Nachfolge, zum Zeugnis erziehen«. Dieses Thema betrifft uns alle, weil jeder Jünger bekennt, daß Jesus der Herr ist, und weil jeder Jünger dazu berufen ist, in der Treue zu ihm zu wachsen und die große Gemeinschaft der Brüder im Glauben zu stützen und von ihr gestützt zu werden. Durch das im Tagungsthema enthaltene Wort »erziehen« wird jedoch die Aufmerksamkeit besonders auf die Kinder und Jugendlichen gelenkt und vor allem die Aufgabe der Familie in den Vordergrund gestellt. So setzen wir den Weg fort, der in den letzten Jahren unsere Diözesanpastoral gekennzeichnet hat. Besondere Beachtung müssen wir den Worten schenken, die das Thema einleiten und die den Stil und den Sinn unserer Tagung vorgeben: »Jesus ist der Herr«. Sie sind bereits im feierlichen Bekenntnis enthalten, das am Ende der Pfingstpredigt des Petrus steht, wo der Erste der Apostel gesagt hat: »Mit Gewißheit erkenne also das ganze Haus Israel: Gott hat ihn zum Herrn und Messias gemacht, diesen Jesus, den ihr gekreuzigt habt« (Apg 2,36). Ähnlich endet der große Christushymnus, der im Brief des Apostels Paulus an die Philipper enthalten ist: »Jeder Mund bekennt: ›Jesus Christus ist der Herr‹ – zur Ehre Gottes, des Vaters« (2,11). Der hl. Paulus ruft auch im Gruß am Ende des Ersten Briefes an die Korinther aus: »Wer den Herrn nicht liebt, sei verflucht! Marána tha – Unser Herr, komm!« (1 Kor 16,22). So überliefert er uns die uralte Anrufung Jesu, des Herrn, in aramäischer Sprache. Man könnte noch weitere Zitate anführen. Ich denke dabei an das zwölfte Kapitel desselben Briefes an die Korinther, wo der hl. Paulus sagt: »Keiner kann sagen: Jesus ist der Herr!, wenn er nicht aus dem Heiligen Geist redet« (1 Kor 12,3). So erklärt er, daß dies das grundlegende Bekenntnis der vom Heiligen Geist geführten Kirche ist. Wir könnten auch an das zehnte Kapitel des Briefes an die Römer denken, wo der Apostel Paulus sagt: »Wenn du mit deinem Mund bekennst: ›Jesus ist der Herr‹…« (Röm 10,9). Damit erinnert er auch die Christen von Rom daran, daß dieses Wort – »Jesus ist der Herr« – das gemeinsame Bekenntnis der Kirche ist, die sichere Grundlage des ganzen Lebens der Kirche. Aus diesen Worten hat sich das ganze Apostolische und das Nizänische Glaubensbekenntnis entwickelt. Auch an einer anderen Stelle des Ersten Briefes an die Korinther sagt Paulus: »Und selbst wenn es im Himmel oder auf der Erde sogenannte Götter gibt…« – und wir wissen, daß es auch heute viele sogenannte Götter auf der Erde gibt – »so haben doch wir nur einen Gott, den Vater. Von ihm stammt alles und wir leben auf ihn hin. Und einer ist der Herr: Jesus Christus. Durch ihn ist alles, und wir sind durch ihn« (1 Kor 8,5–6). So haben die Jünger von Anfang an im auferstandenen Jesus denjenigen erkannt, der unser Bruder in der menschlichen Natur ist, der aber auch eins ist mit Gott. Sie haben in ihm denjenigen erkannt, der uns mit seinem Kommen in die Welt und in seinem ganzen Leben, seinem Tod und seiner Auferstehung Gott gebracht hat, der Gott auf eine neue und einzigartige Weise in der Welt gegenwärtig gemacht hat – denjenigen also, der unserem Leben Sinn und Hoffnung verleiht. In ihm finden wir das wahre Antlitz Gottes, finden wir das, was wir wirklich zum Leben brauchen.

Zum Glauben, zur Nachfolge und zum Zeugnis erziehen bedeutet, unseren Brüdern oder besser einander zu helfen, in eine lebendige Beziehung mit Christus und mit dem Vater einzutreten. Das war von Anfang an die wesentliche Aufgabe der Kirche als Gemeinschaft der Gläubigen, der Jünger und der Freunde Jesu. Die Kirche – Leib Christi und Tempel des Heiligen Geistes – ist jene vertrauenswürdige Gemeinschaft, aus der wir hervorgehen und in der wir erzogen werden, um in Christus Kinder und Erben Gottes zu werden. In ihr empfangen wir den Geist, »in dem wir rufen: Abba, Vater!« (Röm 8,14–17). Wir haben gerade in der Predigt des hl. Augustinus gehört, daß Gott nicht fern ist, daß er der »Weg« geworden ist und daß der »Weg« selbst zu uns gekommen ist. Er sagt: »Steh auf, du Faulenzer, und mache dich auf den Weg!« Sich auf den Weg machen bedeutet, in der Gemeinschaft der Gläubigen auf dem »Weg« voranzuschreiten, der Christus selbst ist. Es bedeutet, voranzugehen und uns dabei gegenseitig zu helfen, wirklich Freunde Jesu Christi und Kinder Gottes zu werden.

Die tägliche Erfahrung lehrt uns – und das wissen wir alle –, daß die Erziehung zum Glauben gerade in unseren Tagen nicht einfach ist. Jede Erziehungsarbeit scheint heute in Wirklichkeit immer schwieriger und unzulänglicher zu werden. Daher ist die Rede von einem großen »Erziehungsnotstand«, von den immer größeren Schwierigkeiten, die die Weitergabe der Grundwerte des Lebens und eines aufrichtigen Verhaltens an die jungen Generationen bereitet. Diese Schwierigkeiten gibt es in der Schule ebenso wie in der Familie und wohl auch in jeder anderen Einrichtung, die sich erzieherische Ziele setzt. Wir können hinzufügen, daß es sich um einen Notstand handelt, der unvermeidlich ist, denn in einer Gesellschaft und in einer Kultur, die aus dem Relativismus nur allzu oft ihr Credo macht – der Relativismus ist zu einer Art Dogma geworden –, in solch einer Gesellschaft fehlt das Licht der Wahrheit. Von Wahrheit zu sprechen, wird sogar als gefährlich, als »autoritär« betrachtet, und am Ende zweifelt man daran, daß das Leben gut ist – Ist es gut, ein Mensch zu sein? Ist es gut zu leben? –, und man zweifelt am Wert der Beziehungen und der Verpflichtungen, die das Leben bestimmen. Wie soll man unter diesen Umständen als einzelner oder als Gemeinschaft den jungen Menschen etwas vermitteln können, was wertvoll und gewiß ist, und es von Generation zu Generation weitergeben – Lebensregeln, den wahren Sinn des menschlichen Lebens und überzeugende Ziele? Daher gibt es die weitverbreitete Tendenz, die Erziehung auf die Weitergabe bestimmter Fähigkeiten oder Fertigkeiten zu beschränken. Den Wunsch der jungen Generationen, glücklich zu sein, versucht man dadurch zu kompensieren, daß man sie mit Konsumprodukten überhäuft und ihnen kurzlebige Freuden verschafft. So geraten sowohl die Eltern als auch die Lehrer leicht in die Versuchung, sich ihrer Erziehungspflicht zu entziehen, und verstehen nicht einmal mehr, welche Rolle oder besser gesagt Sendung ihnen anvertraut ist. Aber so geben wir den Jugendlichen, den jungen Generationen, nicht das, was wir ihnen vermitteln sollen. Wir schulden ihnen auch die wahren Werte, die dem Leben eine Grundlage geben.

Aber dieser Zustand ist natürlich unbefriedigend und muß unbefriedigend sein, weil er das wesentliche Ziel der Erziehung außer acht läßt: die Ausbildung des Menschen, damit dieser in Fülle leben und zum Wohl der Gemeinschaft beitragen kann. Von mehreren Seiten wird daher der Ruf nach wahrer Erziehung immer lauter, und man verspürt wieder den Bedarf an Erziehern, die wirkliche Erzieher sind. Dieser Ruf kommt von seiten der Eltern, denen die Zukunft ihrer Kinder Sorge und oft Angst macht, von seiten vieler Lehrer, die die traurige Erfahrung des sittlichen Niedergangs an ihren Schulen machen, und von seiten der Gesellschaft als ganzer, sowohl in Italien als auch in vielen anderen Nationen, weil sie durch die Erziehungskrise die Grundlagen des Zusammenlebens in Frage gestellt sieht. In einem solchen Zusammenhang tragen die Bemühungen der Kirche um eine Erziehung zum Glauben, zur Nachfolge und zum Zeugnis Jesu, des Herrn, mehr denn je auch dazu bei, unsere Gesellschaft aus der auf ihr lastenden Erziehungskrise herauszuführen, indem sie das Mißtrauen und jenen seltsamen »Selbsthaß«, der ein Charakterzug unserer Gesellschaft geworden zu sein scheint, eindämmt.

Dadurch werden jedoch die Schwierigkeiten, denen wir begegnen, wenn wir die Kinder und Jugendlichen zur Begegnung mit Jesus Christus und zum Aufbau einer dauerhaften und tiefen Beziehung mit ihm führen, nicht geringer. Und dennoch ist es die entscheidende Herausforderung für die Zukunft des Glaubens, der Kirche und des Christentums und daher eine grundlegende Priorität unserer Pastoralarbeit, die junge Generation, die in einer Gott zum großen Teil fernstehenden Welt lebt, näher zu Christus und zum Vater zu bringen. Liebe Brüder und Schwestern, wir müssen uns stets bewußt sein, daß wir ein solches Werk nicht aus eigenen Kräften vollbringen können, sondern nur durch die Kraft des Heiligen Geistes. Es bedarf des Lichtes und der Gnade, die von Gott kommen und die im Innersten des Herzens und des Gewissens wirken. Für die christliche Erziehung und Ausbildung ist daher vor allem das Gebet und unsere persönliche Freundschaft mit Jesus entscheidend: Nur wer Jesus kennt und liebt, kann seine Brüder in eine lebendige Beziehung mit ihm hineinführen. Und gerade diese Notwendigkeit hat mich auf den Gedanken gebracht, daß es nützlich wäre, ein Buch zu schreiben, das hilft, Jesus kennenzulernen. Wir dürfen niemals vergessen, was Jesus gesagt hat: Ich habe »euch Freunde genannt; denn ich habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater gehört habe. Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und dazu bestimmt, daß ihr euch aufmacht und Frucht bringt und daß eure Frucht bleibt« (Joh 15,15–16). Daher werden unsere Gemeinschaften dann fruchtbringend wirken und zum Glauben und zur Nachfolge Christi erziehen, wenn sie selbst echte »Schulen« des Gebets sind (vgl. Apostolisches Schreiben Novo millennio ineunte, 33), in denen der Primat Gottes gelebt wird.

Die Erziehung, insbesondere die christliche Erziehung, also die Erziehung dazu, das eigene Leben nach dem Vorbild Gottes zu gestalten, der die Liebe ist (vgl. 1 Joh 4,8.16), braucht jene Nähe, die für die Liebe eigentümlich ist. Vor allem in der heutigen Zeit, in der Isolierung und Einsamkeit weit verbreitete Phänomene sind, gegen die auch Lärm und Gruppenkonformismus keine wirkliche Abhilfe schaffen können, ist die persönliche Begleitung wichtig, die den Heranwachsenden die Gewißheit schenkt, geliebt, verstanden und angenommen zu sein. Durch die Begleitung sollen sie die konkrete Erfahrung machen können, daß unser Glaube nicht der Vergangenheit angehört, daß er im Heute gelebt werden kann und daß wir, wenn wir ihn leben, wirklich unser Glück finden. So kann den jungen Menschen geholfen werden, sich von weit verbreiteten Vorurteilen zu befreien, und sie können sich bewußt werden, daß die christliche Lebensform realisierbar und vernünftig ist, ja sogar bei weitem die vernünftigste. Die ganze christliche Gemeinschaft in ihren verschiedenen Untergliederungen und Bestandteilen muß sich an der großen Aufgabe beteiligen, die jungen Generationen zur Begegnung mit Christus zu führen. Auf diesem Gebiet muß daher unsere Gemeinschaft mit dem Herrn und untereinander, unsere Bereitschaft zur Zusammenarbeit, zur »Vernetzung«, zum fruchtbringenden Zusammenwirken mit offenem und aufrichtigem Herzen besonders deutlich zum Ausdruck kommen, angefangen bei dem wertvollen Beitrag jener Frauen und Männer, die ihr Leben der Anbetung Gottes und der Fürsprache für die Brüder geweiht haben.

Es ist jedoch einsichtig, daß bei der Erziehung und Ausbildung im Glauben der Familie eine eigene und wesentliche Sendung und vorrangige Verantwortung zukommt. Durch die Eltern nämlich erblickt das Kind das Licht des Lebens und macht die erste und entscheidende Erfahrung der Liebe, einer Liebe, die in Wirklichkeit nicht nur menschliche Liebe ist, sondern ein Widerschein der Liebe Gottes zu ihm. Daher müssen die christliche Familie, die kleine »Hauskirche« (vgl. Lumen gentium, 11), und die größere Familie der Kirche vor allem im Hinblick auf die Kindererziehung eng zusammenarbeiten. All das, was in den drei Jahren herangereift ist, in der unsere Diözesanpastoral auf besondere Weise der Familie gewidmet war, muß daher nicht nur umgesetzt, sondern weiter gefördert werden. Zum Beispiel haben die Versuche, die Eltern und Paten vor und nach der Taufe stärker einzubeziehen, um ihnen dabei zu helfen, ihre Sendung als Erzieher im Glauben zu verstehen und zu erfüllen, bereits zu guten Ergebnissen geführt und verdienen es, fortgesetzt und Gemeingut jeder Pfarrei zu werden. Dasselbe gilt für die Teilnahme der Familien an der Katechese und am ganzen Weg der christlichen Initiation der Kinder und Jugendlichen.

Gewiß sind viele Familien auf eine solche Aufgabe nicht vorbereitet, und es gibt auch diejenigen, die an einer christlichen Erziehung ihrer Kinder nicht interessiert sind oder die sogar dagegen sind. Hier werden auch die Folgen der Krise spürbar, in der sich viele Ehen befinden. Selten begegnet man jedoch Eltern, denen die menschliche und sittliche Erziehung ihrer Kinder vollkommen gleichgültig ist und die daher nicht bereit sind, sich bei der Erziehungsarbeit helfen zu lassen, die als immer schwieriger empfunden wird. Es tut sich daher ein Raum auf, in dem der Einsatz und der Dienst unserer Pfarrgemeinden, Oratorien, Jugendgruppen und vor allem der christlichen Familien selbst gefordert ist. Diese sind dazu aufgerufen, anderen Familien zur Seite zu stehen, um ihnen Halt zu geben und sie bei der Kindererziehung zu unterstützen, um ihnen zu helfen, den Sinn und Zweck des Ehelebens wiederzufinden. Wir gehen jetzt über zu anderen Themen hinsichtlich der Erziehung zum Glauben.

Mit zunehmendem Alter wird natürlich in den Jugendlichen der Wunsch nach persönlicher Unabhängigkeit immer stärker, der besonders bei Heranwachsenden leicht zu einer kritischen Distanzierung von der eigenen Familie führt. Jetzt ist die Nähe des Priesters, der Ordensfrau, des Katecheten oder anderer Erzieher, die dem Jugendlichen die Freundschaft der Kirche und die Liebe Christi konkret vermitteln können, besonders wichtig. Um positive und dauerhafte Auswirkungen zu haben, muß diese Nähe von dem Bewußtsein geprägt sein, daß die Erziehung eine Begegnung in Freiheit ist und daß die christliche Erziehung selbst Ausbildung zur wahren Freiheit ist. Es gibt in der Tat kein wahres Erziehungsangebot, das nicht zu einer Entscheidung ermutigte, auch wenn dies respektvoll und liebevoll geschehen muß, und das christliche Angebot hinterfragt die Freiheit bis auf den Grund und ruft sie zum Glauben und zur Umkehr auf. In Verona habe ich auf dem Kongreß der katholischen Kirche in Italien gesagt: »Wahre Erziehung muß wieder Mut machen zu endgültigen Entscheidungen, die heute als Bindungen betrachtet werden, die unsere Freiheit beschneiden, die aber in Wirklichkeit unverzichtbar sind, um zu wachsen und etwas Großes im Leben zu erreichen, und insbesondere um die Liebe in ihrer ganzen Schönheit heranreifen zu lassen: um also der Freiheit selbst Beständigkeit und Bedeutung zu verleihen«. (Ansprache an die Kongreßteilnehmer am 19. Oktober 2006; in O.R. dt., Nr. 43, 27.10.2006, S. 8). Wenn die Jugendlichen spüren, daß sie in ihrer Freiheit geachtet und ernstgenommen werden, dann sind sie trotz ihres Wankelmuts und ihrer Schwachheit durchaus bereit, sich von anspruchsvollen Angeboten hinterfragen zu lassen, und sie fühlen sich von diesen sogar angezogen und sind oft fasziniert. Sie wollen auch ihre Großherzigkeit zeigen in der Hingabe an die großen und ewigen Werte, die dem Leben zugrunde liegen.

Der wahre Erzieher nimmt auch die intellektuelle Neugierde ernst, die bereits bei Kindern vorhanden ist und die im Laufe der Jahre stärker ins Bewußtsein tritt. Der junge Mensch von heute, der durch die Informationsvielfalt und die gegensätzlichen Ideen und Erklärungen, die ihm ständig geboten werden, herausgefordert wird und oft verwirrt ist, trägt dennoch ein großes Bedürfnis nach Wahrheit in sich. Daher ist er offen für Jesus Christus, denn dieser hat, wie Tertullian in Erinnerung ruft, »gesagt, ›ich bin die Wahrheit‹, nicht, ich bin die Gewohnheit« (De virginibus velandis, I,1). Wir müssen versuchen, die Frage nach der Wahrheit zu beantworten, indem wir ohne Ängste das Angebot des Glaubens der Vernunft unserer Zeit gegenüberstellen. So können wir den jungen Menschen helfen, ihren geistigen Horizont zu erweitern, sich zu öffnen gegenüber dem Geheimnis Gottes, der dem Leben Sinn und Orientierung gibt, und den Einfluß einer Rationalität zu überwinden, die nur den Dingen Vertrauen schenkt, die Gegenstand von Experimenten und Berechnungen sein können. Daher ist es sehr wichtig, eine »Pastoral der Intelligenz«, wie wir sie bereits im vergangenen Jahr genannt haben, zu entfalten.

Die Erziehungsarbeit findet durch die Freiheit statt, aber sie braucht auch Autorität. Daher steht besonders bei der Erziehung zum Glauben die Gestalt des Zeugen und die Rolle des Zeugnisses im Mittelpunkt. Der Zeuge Christi gibt nicht einfach nur Informationen weiter, sondern er hat eine persönliche Beziehung zur Wahrheit, die er anbietet, und durch die Konsequenz seines eigenen Lebens wird er zum glaubwürdigen Bezugspunkt. Er verweist jedoch nicht auf sich selbst, sondern auf einen, der unendlich viel größer ist als er selbst, dem er vertraut und dessen zuverlässige Güte er erfahren hat. Der wahre christliche Erzieher ist also ein Zeuge, dessen Vorbild Jesus Christus ist, der Zeuge des Vaters, der nichts im eigenen Namen tat, sondern das sagte, was ihn der Vater gelehrt hatte (vgl. Joh 8,28). Diese Beziehung zu Christus und zum Vater ist für jeden von uns, liebe Brüder und Schwestern, die Grundbedingung, um fruchtbringende Erzieher im Glauben zu sein.

Sehr zu recht behandelt unsere Tagung nicht nur die Erziehung zum Glauben und zur Nachfolge, sondern auch die zum Zeugnis für Jesus, dem Herrn. Nicht nur die Priester, die Ordensfrauen und die Laien, die in unseren Gemeinden erzieherisch tätig sind, sollen aktiv Zeugnis geben von Christus, sondern auch die Jugendlichen selbst und all diejenigen, die im Glauben erzogen werden. Das Bewußtsein um die eigene Berufung, Zeugen Christi zu werden, ist daher nicht etwas, was später hinzugefügt wird – eine außerhalb der christlichen Erziehung anzusiedelnde Folgeerscheinung, wie man leider oft geglaubt hat und auch heute noch glaubt –, sondern es ist im Gegenteil eine Dimension, die der Erziehung zum Glauben und zur Nachfolge als wesentliches Element innewohnt, so wie die Kirche ihrem Wesen nach »missionarisch« ist (vgl. Ad gentes, 2). Von der frühen Kindeserziehung an und dann bis hin zur ständigen Ausbildung der erwachsenen Christen muß also der Wille und die Überzeugung, in allen Lebenslagen an der missionarischen Berufung der Kirche teilzuhaben, im Herzen der Gläubigen fest verankert werden. Wir können nämlich die Freude am Glauben nicht für uns behalten, wir müssen sie mitteilen und weitergeben, und sie so auch in unseren Herzen stärken. Wenn der Glaube wirklich zur Freude wird, die Wahrheit und die Liebe gefunden zu haben, dann muß man einfach den Wunsch verspüren, ihn weiterzugeben ihn den anderen zu vermitteln. Die Neuevangelisierung, zu der unser geliebter Papst Johannes Paul II. uns aufgerufen hat, findet zu einem großen Teil auf diesem Weg statt. Eine konkrete Erfahrung, durch die in den Jugendlichen der Pfarreien und der verschiedenen kirchlichen Vereinigungen der Wille zum Zeugnis für den eigenen Glauben wachsen kann, ist die »Jugendmission«, die in Planung ist, nachdem die große »Stadtmission« positive Ergebnisse erbracht hat.

Bei der Erziehung zum Glauben ist der katholischen Schule eine sehr wichtige Aufgabe anvertraut. Sie stützt sich nämlich auf einen Bildungsplan, bei dem das Evangelium als entscheidender Bezugspunkt für die Ausbildung der Person und das ganze kulturelle Angebot im Mittelpunkt steht, und auf diese Weise kommt sie ihrer Sendung nach. In überzeugter Zusammenarbeit mit den Familien und mit der kirchlichen Gemeinschaft versucht die katholische Schule also, jene Einheit zwischen dem Glauben, der Kultur und dem Leben zu fördern, die das wesentliche Ziel der christlichen Erziehung ist. Auch die staatlichen Schulen können, wenn auch in anderer Form und auf andere Weise, in ihrer Erziehungsaufgabe Unterstützung erhalten durch die Anwesenheit gläubiger Lehrer – vor allem, aber nicht ausschließlich, der Lehrer für katholische Religion – und christlich erzogener Schüler und auch durch die Mitarbeit vieler Familien und der christlichen Gemeinde. Die gesunde Laizität der Schule wie auch der anderen staatlichen Einrichtungen impliziert keineswegs eine Verschlossenheit gegenüber der Transzendenz und auch keine falsche Neutralität gegenüber jenen sittlichen Werten, die die Grundlage sind für eine authentische Erziehung der Person. Entsprechendes gilt natürlich auch für die Universitäten, und es ist wirklich ein gutes Zeichen, daß die Universitätspastoral in Rom sowohl unter den Dozenten als auch unter den Studenten an allen Universitäten Verbreitung gefunden hat und daß eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen den zivilen und den päpstlichen akademischen Einrichtungen stattfindet.

Stärker als in der Vergangenheit stehen Erziehung und Bildung des Menschen heute unter dem Einfluß der Botschaften und des weit verbreiteten Klimas, die von den Massenmedien vermittelt werden. Diese orientieren sich an einer Mentalität und an einer Kultur, die geprägt sind vom Relativismus, vom Konsumismus und von einer falschen und destruktiven Verherrlichung, oder besser Entweihung, des Körpers und der Sexualität. Als Christgläubige sagen wir ein klares »Ja« zum Menschen, der von Gott geliebt ist, und eben deshalb können wir der Gesamtausrichtung unserer Gesellschaft, den Tendenzen, die sie beseelen, und den positiven oder negativen Einflüssen, die sie auf die Erziehung der jungen Generationen ausübt, natürlich nicht gleichgültig gegenüberstehen. Bereits die Anwesenheit der Gemeinschaft der Gläubigen, ihr Einsatz im erzieherischen und im kulturellen Bereich und die Botschaft des Glaubens, des Vertrauens und der Liebe, deren Trägerin sie ist, sind in Wirklichkeit ein unschätzbarer Dienst am Gemeinwohl und besonders an den jungen Menschen, die für das Leben erzogen und ausgebildet werden.

Liebe Brüder und Schwestern, ich möchte eure Aufmerksamkeit noch auf einen letzten Punkt lenken. Er ist für die Sendung der Kirche äußerst wichtig und verlangt unseren Einsatz und vor allem unser Gebet: die Berufungen zum Priesteramt und zum geweihten Leben, um Jesus, dem Herrn, aus nächster Nähe nachzufolgen. Erfreulicherweise hat die Diözese Rom in den letzten Jahrzehnten das Geschenk vieler Priesterweihen erhalten. Dadurch konnten Lücken, die in der Zeit davor entstanden waren, gefüllt werden, und man konnte auch den Anfragen nicht weniger Schwesterkirchen entgegenkommen, in denen Priester benötigt wurden. In letzter Zeit jedoch sehen die Zeichen weniger günstig aus. Das spornt unsere Diözesangemeinschaft an, den Herrn erneut mit Demut und Vertrauen um Arbeiter für seine Ernte zu bitten (vgl. Mt 9,37–38; Lk 10,2). Wir müssen – stets einfühlsam und respektvoll, aber auch deutlich und mutig – die jungen Männer und Frauen, die von der Freundschaft mit Jesus am stärksten angezogen und fasziniert zu sein scheinen, auf besondere Weise zur Nachfolge einladen. Im Hinblick darauf wird die Diözese einige junge Priester dazu bestimmen, sich besonders um die Berufungen zu kümmern. Wir wissen jedoch auch, daß das Entscheidende in diesem Bereich das Gebet und die Qualität unseres christlichen Zeugnisses ist, das Vorbild der Priester und der geweihten Personen sowie die Großherzigkeit der berufenen Personen und der Familien, aus denen sie kommen.

Liebe Brüder und Schwestern, ich vertraue euch diese Überlegungen an als Beitrag zum Dialog dieser Abende und zur Arbeit des nächsten Pastoraljahres. Möge der Herr uns stets die Freude schenken, an ihn zu glauben, in seiner Freundschaft zu wachsen, ihm auf dem Weg des Lebens zu folgen und in jeder Situation von ihm Zeugnis abzulegen, um denen, die nach uns kommen, den großen Reichtum und die Schönheit des Glaubens an Jesus Christus zu übermitteln. Meine Liebe und mein Segen begleiten euch bei eurer Arbeit. Danke für eure Aufmerksamkeit!

 

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