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HEILIGE MESSE ZUM ABSCHLUSS DER BISCHOFSSYNODE

PAPSTMESSE

PREDIGT VON PAPST FRANZISKUS

Vatikanische Basilika
30. Sonntag im Jahreskreis, 27. Oktober 2019

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Heute gibt uns das Wort Gottes anhand dreier Personen eine Hilfe, wie wir beten sollen: Im Gleichnis Jesu beten ein Pharisäer und ein Zöllner, in der ersten Lesung ist die Rede vom Gebet eines Armen.

1. Das Gebet des Pharisäers beginnt folgendermaßen: »Gott, ich danke dir«. Das ist ein ausgezeichneter Anfang, denn das beste Gebet ist das Dankgebet, ist der Lobpreis. Aber sofort sehen wir den Grund für seinen Dank: weil »ich nicht wie die anderen Menschen bin« (Lk 18,11). Er erklärt auch warum: Er fastet zweimal in der Woche, obwohl man damals nur einmal im Jahr dazu verpflichtet war; er spendet den zehnten Teil seines ganzen Einkommens, obwohl das nur für die wichtigsten Güter vorgeschrieben war (vgl. Dtn 14,22 ff.). Kurz gesagt, er ist stolz darauf, bestimmte Gebote bestmöglich zu erfüllen. Aber er vergisst das wichtigste: Gott und den Nächsten zu lieben (vgl. Mt 22,36-40). Strotzend vor Selbstbewusstsein und der Gewissheit, die Gebote zu erfüllen sowie seine eigenen Verdienste und Tugenden zu besitzen, ist er ganz auf sich selbst fixiert. Das Drama dieses Menschen besteht darin, dass er ohne Liebe ist. Aber auch die besten Dinge nützen ohne die Liebe nichts, wie der heilige Paulus sagt (vgl. 1 Kor 13). Und was kommt schließlich heraus – ohne die Liebe? Dass man am Ende, anstatt zu beten, sich selber lobt. Tatsächlich bittet er den Herrn um nichts, denn er fühlt sich weder bedürftig noch schuldig, er meint vielmehr, Gott würde ihm etwas schulden. Er befindet sich im Tempel Gottes, aber er praktiziert eine andere Religion, die Religion des Ich. Und viele „illustre“ Gruppen, „katholische Christen“, folgen dieser Richtung.

Und er vergisst nicht nur Gott, sondern auch seinen Nächsten, ja er verachtet ihn; er hat für ihn keinen Wert und keine Würde. Er hält sich für besser als die anderen, die er wörtlich übersetzt als „Restliche, Übrige“ bezeichnet („loipoi“, Lk 18,11). Sie sind also „Rest“; sie sind Ausschuss, von dem man sich fernhält. Wie oft begegnen wir dieser Tendenz im Leben und in der Geschichte! Wie oft errichten diejenigen, die vorne dran stehen, Mauern, um die Distanz zu vergrößern, so wie es der Pharisäer gegenüber dem Zöllner tut, und drängen die anderen so noch mehr an den Rand. Oder jemand verachtet ihre Traditionen, ignoriert ihre Geschichten, besetzt ihre Territorien und bemächtigt sich ihrer Güter, weil er die Eigentümer für rückständig und unbedeutend hält. Wie viel vermeintliche Überlegenheit, die sich in Unterdrückung und Ausbeutung verwandelt – auch heute – das haben wir während der Synode gesehen, als wir über die Ausbeutung der Schöpfung, der Menschen, der Einwohner Amazoniens sprachen, über den Menschenhandel und über den Kommerz mit Menschen! Die Fehler in der Vergangenheit waren nicht genug, um damit aufzuhören, die anderen auszuplündern und unseren Geschwistern wie auch unserer Schwester Erde Wunden zuzufügen: das haben wir am vernarbten Antlitz Amazoniens gesehen. Die Religion des Ich geht weiter, sie ist heuchlerisch in ihren Riten und „Gebeten“ – vielfach sind es Katholiken, sie bekennen sich als Katholiken; aber sie haben vergessen, christlich und human zu sein! – sie verliert das Bewusstsein für die wahre Gottesverehrung, die niemals die Nächstenliebe außerachtlässt. Auch manche Christen, die am Sonntag beten und zur Messe gehen, frönen dieser Religion des Ich. Wir können in uns gehen und schauen, ob auch wir jemanden als minderwertig oder als wertlos ansehen, selbst, wenn das nur in unserer Wortwahl geschieht. Lasst uns um die Gnade bitten, dass wir uns nicht für besser halten, dass wir nicht meinen, bei uns sei alles in Ordnung, dass wir nicht zynisch und spöttisch werden. Bitten wir Jesus um Heilung, sodass wir über andere nicht schlecht reden und nicht über sie klagen, dass wir niemanden verachten: das sind Dinge, die Gott nicht gefallen. Es ist eine Fügung, dass uns in dieser Messe nicht nur die Indigenen aus Amazonien begleiten, sondern auch die Ärmsten der Industriegesellschaften, die kranken Brüder und Schwestern der Gemeinschaft der Arche. Sie sind hier bei uns in der ersten Reihe.

2. Kommen wir nun zu dem anderen Gebet. Das Gebet des Zöllners hilft uns hingegen zu verstehen, was Gott wohlgefällt. Er beginnt nicht mit seinen Verdiensten, sondern mit seinen Unzulänglichkeiten; nicht mit seinem Reichtum, sondern mit seiner Armut: das war keine materielle Armut – die Zöllner waren reich und bereicherten sich sogar auf ungerechte Weise, auf Kosten ihrer Landsleute –, sondern er empfindet eine Armut an Leben, denn in der Sünde lebt man nie gut. Dieser Mann, der die anderen ausnutzt, bekennt sich zu seiner Armut vor Gott, und der Herr hört auf sein Gebet, das aus nur fünf Worten besteht, aber in rechter Gesinnung vorgetragen wird. Während der Pharisäer vorne stand (vgl. V. 11), steht der Zöllner ganz hinten und »wollte nicht einmal seine Augen zum Himmel erheben«, weil er glaubte, dass es den Himmel gibt und dass er groß ist, während er sich klein fühlt. Und er »schlug sich an die Brust« (V. 13), denn in der Brust befindet sich das Herz. Sein Gebet kommt direkt vom Herzen, es ist transparent: Er bringt sein Herz vor Gott, nicht den äußeren Schein. Beten bedeutet, sich von Gott anschauen zu lassen – Gott sieht mich an, wenn ich bete –, ein Gebet ohne Masken, ohne Ausreden, ohne Rechtfertigungen. Wie oft bringen uns die Reueerklärungen voller Selbstrechtfertigungen zum Lachen! Keine Spur von Reue, es ist Selbst-Heiligsprechung! Denn vom Teufel kommen Undurchsichtigkeit und Lüge – das sind die Rechtfertigungen –, von Gott kommt Licht und Wahrheit, die Transparenz meines Herzens. Es war schön, und ich bin euch, liebe Synodenväter, liebe Brüder und Schwestern Synodenteilnehmer, so dankbar, dass ihr in diesen Wochen mit dem Herzen, mit Aufrichtigkeit und Offenheit gesprochen habt und Gott und den Geschwistern eure Mühen und Hoffnungen vorgetragen habt.

Wenn wir heute auf den Zöllner schauen, entdecken wir neu, von wo alles immer wieder seinen Ausgang nehmen muss: davon, dass wir daran glauben, dass wir der Erlösung bedürfen, wir alle. Das ist der erste Schritt der Religion Gottes, die Barmherzigkeit ist und sich dem zuwendet, der sich als armselig erkennt. Umgekehrt besteht die Wurzel aller Sünde, wie die alten Mönche lehrten, darin, sich selbst für gerecht zu halten. Wer sich selbst für gerecht hält, lässt Gott, den einzig Gerechten, außen vor. Es ist sehr wichtig, dass Jesus uns diese grundlegende Haltung anhand eines paradoxen Vergleichs vor Augen führt, wenn er im Gleichnis die nach damaligem Verständnis frömmste und gottesfürchtigste Person, den Pharisäer, und den öffentlichen Sünder par excellence, den Zöllner, in Zusammenhang bringt. Und das Urteil stellt alles auf den Kopf: wer gut aber anmaßend ist, scheitert; wer schlecht aber demütig ist, wird von Gott erhöht. Wenn wir ehrlich sind, sehen wir in unserem Inneren alle beide, den Zöllner und den Pharisäer. Wir sind ein bisschen Zöllner, weil wir Sünder sind, und ein bisschen Pharisäer, weil wir anmaßend sind, selbstgerecht, Meister darin, uns nach allen Regeln der Kunst als gerecht und schuldlos darzustellen! Bei anderen mag das funktionieren, nicht aber bei Gott. Bei Gott funktioniert der Trick nicht. Bitten wir um die Gnade, uns als der Barmherzigkeit bedürftig und innerlich arm zu fühlen. Auch deshalb tut es uns gut, mit den Armen zu verkehren, damit wir uns daran erinnern, dass wir arm sind, damit wir uns daran erinnern, dass Gottes Heil nur in einem Klima innerer Armut wirkt.

3. So kommen wir nun zum Gebet des Armen in der ersten Lesung. Wie es im Buch Jesus Sirach heißt, »durchdringt es die Wolken« (vgl. 35,21). Während das Gebet derer, die sich für gerecht halten, auf der Erde bleibt, weil es von der Schwerkraft des Egoismus unten gehalten wird, steigt das Gebet der Armen direkt zu Gott auf. Der Glaubenssinn des Volkes Gottes hat in den Armen „die Pförtner des Himmels“ gesehen: dieser sensus fidei fehlte in der Rede [des Pharisäers]. Sie sind es, die uns die Türen des ewigen Lebens öffnen werden oder nicht, sie, die sich in diesem Leben nicht als die Herren sahen, die sich nicht vor andere hingestellt haben, die nur in Gott ihren Reichtum hatten. Sie sind lebendige Ikonen der christlichen Prophetie.

In dieser Synode hatten wir die Gnade, die Stimmen der Armen zu hören und über die Unsicherheit ihres Lebens nachzudenken, das von räuberischen Entwicklungsmodellen bedroht ist. Doch gerade in dieser Situation haben viele uns bezeugt, dass es möglich ist, die Realität auf andere Art zu betrachten und sie mit offenen Händen als Geschenk anzunehmen, die Schöpfung nicht auszubeuten, sondern als ein zu hütendes Haus zu bewohnen und auf Gott zu vertrauen. Er ist Vater und wird, so wieder das Buch Jesus Sirach, »die Bitte eines ungerecht Behandelten« erhören (V. 16). Und wie oft werden auch in der Kirche die Stimmen der Armen nicht gehört, vielleicht sogar verspottet oder zum Schweigen gebracht, weil sie unbequem sind. Bitten wir um die Gnade, den Schrei der Armen zu hören: dies ist der Schrei der Hoffnung der Kirche. Der Schrei der Armen ist der Schrei der Hoffnung der Kirche. Wenn wir ihren Schrei zu dem unsrigen machen, wird auch unser Gebet – dessen dürfen wir gewiss sein – die Wolken durchdringen.

 



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