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VOM KARDINALSTAATSSEKRETÄR UNTERZEICHNETE BOTSCHAFT
DES HEILIGEN VATERS ZUM 44. MEETING FÜR DIE FREUNDSCHAFT UNTER DEN VÖLKERN

[RIMINI, 20.-25. AUGUST 2023]

An Seine Exzellenz Nicolò Anselmi,
Bischof von Rimini

Hochwürdigster Herr Bischof,

auch in diesem Jahr übermittelt Ihnen der Heilige Vater seine an die Organisatoren und Teilnehmer des Meetings für die Freundschaft unter den Völkern gerichtete Botschaft, während leider Krieg und Spaltungen Ressentiments und Ängste in die Herzen säen; und die Anderen, die sich von einem selbst unterscheiden, werden oft als Rivalen wahrgenommen. Die globale und allgegenwärtige Kommunikation führt dazu, dass diese weit verbreitete Haltung zu einer Mentalität wird, dass Unterschiede als Symptome der Feindseligkeit erscheinen und es zu einer Art Epidemie der Feindschaft kommt.

In diesem Kontext klingt der Titel des Treffens kühn: »Die menschliche Existenz ist eine unerschöpfliche Freundschaft.« Er ist kühn, weil er in einer von Individualismus und Gleichgültigkeit geprägten Zeit dem allgemeinen Trend eindeutig entgegenläuft, der Einsamkeit und viele Formen der Ausgrenzung hervorbringt.

Dieser Situation kann man unmöglich nur aus eigener Kraft entkommen. Seit jeher hat die Menschheit diese Erfahrung gemacht: Niemand kann sich allein retten. Deshalb hat Gott in einem bestimmten Augenblick der Geschichte die Initiative ergriffen: »Er sendet uns seinen Sohn, schenkt ihn, gibt ihn hin, teilt ihn mit uns, damit wir den Weg der Geschwisterlichkeit, den Weg der Hingabe lernen. Es ist ein entschieden neuer Horizont, es ist ein neues Wort für so viele Situationen der Ausschließung, der Spaltung, der Verschlossenheit, der Isolierung. Es ist ein Wort, welches das Schweigen der Einsamkeit durchbricht« (Predigt in Asunción, Paraguay, 12. Juli 2015).

Jesus selbst stellt sich uns als Freund vor: »Ich nenne euch nicht mehr Knechte; ... vielmehr habe ich euch Freunde genannt« (Joh  15,15). Der Geist des auferstandenen Chris-tus durchbricht die Einsamkeit, indem er dem Menschen seine Freundschaft als reine Gnade schenkt. Daran erinnerte Don Giussani mit Worten, die dem Titel des diesjährigen Meetings zugrundeliegen: »Im Ereignis dieser Gabe ist die menschliche Einsamkeit aufgebrochen. Hier ist die menschliche Erfahrung nicht mehr von einer zermürbenden Ohnmacht bestimmt, sondern vielmehr von einem Bewusstsein und einer kraftvollen Fähigkeit [...]. Die Kraft des Menschen ist ein Anderer, die Gewissheit des Menschen ist ein Anderer: Die Existenz wird zu einem tiefen Dialog und die Einsamkeit ist an den Wurzeln eines jeden Moments im Leben abgeschafft. [...] Die menschliche Exis-tenz ist eine unausschöpfliche Freundschaft« (Der Weg zur Wahrheit ist eine Erfahrung, St. Ottilien 2006, S. 90).

An die jungen Menschen gewandt, betonte der Heilige Vater den Wert der wahren Freundschaft, die das Herz weitet: »Die treuen Freunde […] sind ein Widerschein der Liebe des Herrn, seines Trostes und seiner liebevollen Gegenwart. Freunde zu haben hilft uns, uns zu öffnen, zu verstehen, uns um andere zu kümmern, aus unserer Bequemlichkeit und Isolation herauszugehen, das Leben zu teilen« (Christus vivit, 151). Dem können wir eine weitere Betrachtung von Don Giussani zur Seite stellen: »Das wahre Wesen der Freundschaft besteht darin, frei gemeinsam für die Bestimmung zu leben. Es kann keine Freundschaft zwischen uns geben, wir können uns nicht Freunde nennen, wenn wir nicht die Bestimmung des anderen über alles lieben, über jeden Gewinn hinaus« (Attraverso la compagnia dei credenti , Mailand 2021, S. 184).

Die Haltung der Aufgeschlossenheit gegen-über dem anderen als Bruder ist eines der Kennzeichen des Pontifikats von Papst Franziskus, seines Zeugnisses und seines Lehramts: »Die Liebe zum anderen drängt uns aufgrund ihrer Natur, das Beste für sein Leben zu wollen. Nur wenn wir diese Art gegenseitiger Bezogenheit entwickeln, wird ein gesellschaftlicher Zusammenhalt möglich sein, der niemanden ausschließt, und eine Geschwisterlichkeit, die für alle offen ist« (Enzyklika Fratelli tutti , 94). Die soziale Freundschaft, die der Papst immer wieder als einzige Chance auch in den dramatischsten Situationen – sogar angesichts von Kriegen – empfiehlt, ergibt, wenn sie »in der Gesellschaft authentisch ist, eine Bedingung der Möglichkeit von wirklicher universaler Offenheit« (ebd., 99).

Das Gesetz der Freundschaft hat Jesus mit folgenden Worten definiert: »Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt« (Joh 15,13). Deshalb bittet der Heilige Vater die Christen und alle Männer und Frauen guten Willens, nicht taub zu bleiben gegenüber dem Aufschrei, der sich von dieser unserer Welt zu Gott erhebt. Reden reichen nicht aus; es braucht vielmehr »konkrete Gesten« und »gemeinsame Entscheidungen«, die eine Kultur des Friedens in unseren Lebensumfeldern aufbauen: »…uns in der Familie, mit Freunden oder Nachbarn versöhnen; für die beten, die uns verletzt haben; die erkennen und denen helfen, die in Not sind; ein Wort des Friedens in die Schule, die Universität oder das gesellschaftliche Leben hineintragen; jemanden, der sich allein fühlt, mit Nähe salben…« (Ansprache an das Welttreffen für Geschwisterlichkeit unter den Menschen  »Not alone «, 10. Juni 2023). Diesen Weg können alle Menschen gehen, und die Kirche wird nicht müde in ihrer Ermutigung, ihn zu gehen, indem diese oberste menschliche und christliche Tugend mit einer gewissen Hartnäckigkeit praktiziert wird.

Liebe Freunde, ist das etwa nicht der Beitrag, den das Meeting für die Freundschaft unter den Völkern in seiner inzwischen über vierzigjährigen Geschichte zu leisten versucht hat? Ein Ort der Freundschaft zwischen Menschen und Völkern zu sein, indem Wege des Miteinanders und des Dialogs geöffnet werden. In dieser unruhigen Stunde der Geschichte ermutigt euch der Papst, in der Bereitschaft zu einer »unausschöpflichen Freundschaft« nicht nachzulassen. Denn gegründet in Christus und auf   Petrus, den Felsen, ist sie bereit, das Gute zu erkennen, das jeder Mensch ins Leben aller bringen kann, »denn andere Kulturen sind keine Feinde, gegen die man sich verteidigen muss, sondern spiegeln auf verschiedene Weise den unerschöpflichen Reichtum menschlichen Lebens wider« (Enzyklika Fratelli tutti , 147).

Unsere menschliche Erfahrung, die wir mit allen Menschen aller kulturellen und religiösen Traditionen teilen, ist das Terrain, auf dem die Erfahrung der Freundschaft, die die Geschichte aufbaut, Wurzeln fassen kann, wie Papst Benedikt XVI. sagte: »Die Begegnung der Kulturen ist möglich, weil der Mensch, trotz aller Unterschiede in seiner Geschichte und seinen gemeinschaftlichen Schöpfungen, ein in sich identisches und einzigartiges Wesen ist. Dieses einzigartige Wesen, das der Mensch ist, wird in den Tiefen seiner Existenz von der Wahrheit selbst durchdrungen« (Glaube – Wahrheit – Toleranz: Das Christentum und die Weltreligionen, Herder 2003).

Wie viele Freundschaften sind in den Hallen der Messe von Rimini während der Meetings entstanden! Wie der Heilige Vater betont, »geschehen die wahren Freundschaften einfach, und dann werden sie gleichsam gepflegt. Bis zum Punkt, an dem man den anderen Menschen ins eigene Leben treten lässt« (Interview mit dem Sender FM Milenium 106.7, September 2015). Das ist eine schöne Definition der Freundschaft, die wir immer mehr praktizieren sollen: den anderen Menschen ins eigene Leben eintreten lassen.

Papst Franziskus hofft, dass das Meeting für die Freundschaft unter den Völkern auch in Zukunft eine Kultur der Begegnung fördert, die gegenüber allen Menschen ohne Ausnahme aufgeschlossen ist, denn in jedem und jeder gibt es einen Widerschein des Vaters, »der allen das Leben, den Atem und alles gibt« (Apg 17,25). Möge jeder der Teilnehmer ein wenig lernen, sich den Mitmenschen nach Jesu Art zu nähern: »Jesus streckt immer die Hand aus, er versucht immer, uns aufzurichten, dafür zu sorgen, dass die Menschen geheilt werden, dass sie glücklich sind, dass sie Gott begegnen« (Katechese, 7. August 2019), damit die soziale Freundschaft und die Freundschaft unter den Völkern wachsen.

Seine Heiligkeit bittet Sie, Exzellenz, die Organisatoren, die Freiwilligen und alle Teilnehmer am Meeting, seiner im Gebet zu gedenken und erteilt von Herzen seinen Apostolischen Segen.

Ich schließe meinen persönlichen Segenswunsch für ein gutes Gelingen der Veranstaltung an und ergreife diese Gelegenheit, um Ihnen meine Hochachtung auszusprechen.

          Ihr im Herrn sehr ergebener

     Pietro Kardinal Parolin, Staatssekretär



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