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APOSTOLISCHE REISE VON PAPST FRANZISKUS
NACH BULGARIEN UND NORDMAZEDONIEN
[5.-7. MAI 2019]

BEGEGNUNG MIT PRIESTERN UND ORDENSLEUTEN

ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS

Kathedrale von Skopje
Dienstag, 7. Mai 2019

[Multimedia]


 

 

Liebe Brüder und Schwestern,

ich danke euch für die Gelegenheit zu diesem Treffen mit euch. Ich bin besonders dankbar für diesen Moment, bei dem ich die Kirche mit beiden Lungenflügeln – dem lateinischen und dem byzantinischen Ritus – tief einatmen sehe, damit sie mit dem stets neuen und erneuernden Atem des Heiligen Geistes erfüllt wird. Zwei notwendige und sich ergänzende Lungenflügel, die uns dabei helfen, die Schönheit des Herrn immer tiefer zu verkosten (vgl. Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 116). Danken wir für diese Gelegenheit, gemeinsam tief Atem zu schöpfen und zu spüren, wie gut der Herr zu uns ist.

Ich danke euch für eure Zeugnisse, die ich aufgreifen möchte. Ihr habt die Tatsache erwähnt, dass ihr nur wenige seid und versucht seid, in einen Minderwertigkeitskomplex zu verfallen. Während ich euch zuhörte, kam mir das Bild der Maria in den Sinn, die mit einem Pfund echten Nardenöls die Füße Jesu salbte und mit ihren Haaren trocknete. Der Evangelist beschließt die Beschreibung der Szene mit dem Satz: »Das Haus wurde vom Duft des Öls erfüllt« (Joh 12,3). Dieses Nardenöl konnte alles durchtränken und eine unverkennbare Spur hinterlassen.

Es gibt viele Situationen, bei denen wir zu rechnen beginnen: wir schauen, wie viele wir sind … und wir sind nur wenige; wir schauen auf die Mittel, die wir haben … und es sind wenige; dann sehen wir die Zahl der Häuser und Projekte, die wir betreuen müssen … und es sind zu viele … Wir könnten weiter viele Dinge aufzählen, bei denen wir die Unzulänglichkeit unserer zur Verfügung stehenden Ressourcen sehen, um den uns anvertrauten missionarischen Auftrag fortzuführen. Wenn das so ist, scheint unsere Bilanz „rote Zahlen“ zu schreiben.

Es stimmt zwar, dass der Herr gesagt hat: Wenn jemand einen Turm bauen will, soll er die Kosten berechnen, »sonst könnte es geschehen, dass er das Fundament gelegt hat, dann aber den Bau nicht fertigstellen kann« (Lk 14, 29). Das „Rechnen“ kann uns aber dazu verleiten, zu sehr auf uns selbst zu sehen. In der Konzentration auf unsere Lebenswelt, auf unsere Sorgen enden wir fast wie die Jünger von Emmaus: Wir verkünden das Kerygma mit unseren Lippen, doch unser Herz ist aus einer subtilen Frustration heraus verstummt, die es daran hindert, den zu vernehmen, der neben uns geht und die Quelle der Freude und Fröhlichkeit ist.

Liebe Brüder und Schwestern, das „Rechnen“ ist immer dann notwendig, wenn es uns hilft, die vielen Lebenslagen und Situationen zu entdecken und sich ihnen zu nähern, in denen man jeden Tag Mühe hat, über die Runden zu kommen: Familien, denen das Nötigste zum Leben fehlt, alte und einsame Senioren, ans Bett gefesselte Kranke, freudlose junge Menschen ohne Zukunft, Arme, die uns an das erinnern, was wir sind: eine Kirche aus Bettlern, welche der Barmherzigkeit des Herrn bedürfen. Man darf nur dann „Rechnen“, wenn es hilft, uns in Bewegung zu versetzen, um solidarisch zu werden, aufmerksam, verständnisvoll und fürsorglich. So sollen wir der Kraftlosigkeit und der Gebrechlichkeit vieler unserer Brüder und Schwestern begegnen, die es bedürfen, dass wir sie mit einem Öl salben, das sie aufrichtet und ihre Hoffnung wieder erstarken lässt.

Wir dürfen nur rechnen, um dann gemeinsam mit unserem Volk eindringlich zu sagen und zu bitten: „Komm, Herr Jesus!“ Ich würde es gerne zusammen mit euch sagen: „Komm, Herr Jesus!“ Noch einmal … [Sie sagen: „Komm, Herr Jesus!“]

Ich will die Gestalt von Mutter Teresa nicht zu viel in Anspruch nehmen, aber dieses Land hat der Welt und der Kirche eben mit ihr ein konkretes Zeichen geschenkt, wie die Schwachheit einer von Gott gesalbten Person alles hat durchdringen können, als der Duft der Seligpreisungen sich über die müden Füße unserer Menschheit verbreitete. Wie viele Menschen wurden von ihrem liebevollen Blick beruhigt, durch ihr Streicheln getröstet, von ihrer Hoffnung gestärkt und durch den Mut ihres Glaubens genährt, der auch die Verlassensten spüren lassen konnte, dass sie von Gott nicht vergessen sind! Die Geschichte wird von solchen Leuten geschrieben, die keine Angst davor haben, ihr Leben aus Liebe hinzugeben: alles, was ihr für den geringsten meiner Brüder getan habt, habt ihr für mich getan (vgl. Mt 25,40). Wie viel Weisheit steckt in den Worten der heiligen Teresia Benedicta vom Kreuz [Edith Stein], wenn sie sagt: »Sicherlich werden die entscheidenden Wendungen in der Weltgeschichte wesentlich mitbestimmt durch Seelen, von denen kein Geschichtsbuch etwas meldet. Und welchen Seelen wir die entscheidenden Wendungen in unserem persönlichen Leben verdanken, das werden wir auch erst an dem Tage erfahren, an dem alles Verborgene offenbar wird.«[1]

Natürlich haben wir oft hochtrabende Träume davon, was alles anders sein könnte, wenn wir nur stärker, mächtiger oder einflussreicher wären. Aber liegt nicht das Geheimnis unserer Kraft, unserer Macht und unseres Einflusses, sogar unserer Jugend, ganz wo anders als darin, dass „die Rechnung stimmt“? Ich frage das, weil mich das Zeugnis von Davor betroffen gemacht hat. Er hat uns erzählt, was sein Herz tief geprägt hat. Du warst sehr klar: Das, was dich vor der Karrierebesessenheit gerettet hat, waren die Rückkehr zur ursprünglichen Berufung, zum ersten Ruf und die Suche nach dem auferstandenen Herrn dort, wo er sich finden lässt. Du bist aufgebrochen, hast die Sicherheiten aufgegeben, um auf den Straßen und den Plätzen dieser Stadt zu wandeln; dort hast du die Erneuerung deiner Berufung und deines Lebens erfahren. Als du dich in das tägliche Leben deiner Brüder und Schwestern hinabbegeben und es mit dem Öl des Geistes gesalbt hast, begann dein priesterliches Herz wieder kraftvoller zu schlagen.

Du hast dich niedergebeugt, um die müden Füße des Meisters, die müden Füße konkreter Menschen zu salben, dort, wo sie sich befanden, und der Herr hat auf dich gewartet, um dich wieder für deine Berufung zu salben. Das ist sehr wichtig. Um uns selbst zu erneuern, müssen wir oft zurückgehen und dem Herrn begegnen, die Erinnerung an den ersten Ruf wiedergewinnen. Der Verfasser des Hebräerbriefs sagt den Christen: „Erinnert euch an die ersten Tage“ (vgl. 10,32). Sich an die Schönheit dieser Begegnung mit Jesus erinnern, der uns gerufen hat, und von dieser Begegnung mit dem Blick Jesu Kraft schöpfen, um voranzugehen. Niemals die Erinnerung an den ersten Ruf verlieren! Die Erinnerung an den ersten Ruf gehört gewissermaßen zu den Sakramentalien. Tatsächlich könnte ich sagen, dass die Schwierigkeiten der apostolischen Arbeit uns das Leben „verderben“, und man kann die Begeisterung verlieren. Man kann auch die Lust daran verlieren, zu beten und dem Herrn zu begegnen. Wenn du dich so fühlst, halte ein! Kehre zurück und triff dich mit dem Herrn des ersten Rufs. Diese Erinnerung wird dich retten.

Oft verbrauchen wir unsere Kräfte und Ressourcen, unsere Versammlungen, Diskussionen und Planungen damit, an Methoden, Rhythmen, Perspektiven festzuhalten, die nicht nur niemanden begeistern, sondern auch ungeeignet sind, um ein wenig von dem Wohlgeruch des Evangeliums zu verbreiten, der tröstet und Hoffnung weckt. Stattdessen nehmen sie uns die persönliche Begegnung mit dem Nächsten. Wie sehr stimmen doch die Worte Mutter Teresas: »Was mir nichts nützt, belastet mich!«[2] Lassen wir all die Lasten hinter uns, die uns von unserer Sendung abhalten und verhindern, dass der Duft der Barmherzigkeit das Antlitz unserer Brüder und Schwestern erreicht. Ein Pfund Nardenöl war in der Lage, alles zu durchdringen und eine unverwechselbare Spur zu hinterlassen.

Berauben wir uns nicht des Besten an unserer Sendung, löschen wir den Herzschlag des Geistes nicht aus.

Ich danke euch, Vater Goce und Gabriella: Ihr seid in eurem Leben mutig gewesen! Und euren Kindern Filip, Blagoj, Luca, Ivan, dass ihr uns von euren Freuden und Sorgen, von eurem Dienst und eurem Familienleben erzählt habt. Und auch von dem Geheimnis, um in schwierigen Momenten, wie ihr sie erlebt habt, weitermachen zu können. Die Ehe , die eheliche Gnade im Leben des Dienstes hat euch geholfen, so als Familie zu wandeln.

Euer Zeugnis hat etwas von dem „Wohlgeruch des Evangeliums“ der Urgemeinde. Denken wir daran, dass »im Neuen Testament von der Gemeinde die Rede ist, die sich im Haus versammelt (vgl. 1 Kor 16,19; Röm 16,5; Kol 4,15; Phlm 2). Der Lebensraum der Familie konnte sich in eine Hauskirche verwandeln, in einen Ort der Eucharistie – wie oft hast du die Eucharistie zu Hause gefeiert –, der Gegenwart Christi am selben Tisch. Unvergesslich ist die in der Offenbarung des Johannes dargestellte Szene: „Ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wer meine Stimme hört und die Tür öffnet, bei dem werde ich eintreten und wir werden Mahl halten, ich mit ihm und er mit mir“ (3,20). So wird ein Haus skizziert, das in seinem Innern die Gegenwart Gottes birgt, das gemeinsame Gebet und somit den Segen des Herrn« (Apostolisches Schreiben Amoris laetitia, 15). So gebt ihr ein lebendiges Zeugnis dafür, dass »der Glaube […] uns nicht von der Welt [entfernt], sondern er zieht uns tiefer in sie hinein« (ebd., 181). Nicht von unseren Wunschvorstellungen her, nicht als „Perfekte“ und nicht als Makellose, sondern in der Unzulänglichkeit unserer Lebenslagen, unserer Familien, die jeden Tag von dem Vertrauen in Gottes bedingungslose Liebe zu uns gesalbt werden. Ein Vertrauen, das uns dazu bringt, wie du, Vater Goce, uns zurecht in Erinnerung gerufen hast, einige Haltungen heranzubilden, die so wichtig, doch in unserer von schnelllebigen und oberflächlichen Beziehungen zerfaserten Gesellschaft vergessen sind: Zartgefühl, Geduld und Mitleid. Und ich möchte die Wichtigkeit des Zartgefühls im priesterlichen Dienst und auch im Lebenszeugnis des Ordenslebens unterstreichen. Es besteht die Gefahr, dass, wenn man nicht in einer Familie lebt, wenn es nicht nötig ist, wie Vater Goce die eigenen Kinder zu liebkosen, das Herz gleich dem einer „alten Jungfer“ wird. Und dann besteht die Gefahr, dass das Gelübde der ehelosen Keuschheit der Ordensschwestern und auch der zölibatären Priester zu einem „Altjungferngelübde“ wird. Wie viel Übel richtet eine Ordensschwester, die sich wie eine „alte Jungfer“ benimmt, oder ein Priester nach Art eines „alten Junggesellen“ an! Deshalb rufe ich zum Zartgefühl auf. Heute hatte ich die Gnade, Ordensschwestern mit viel Zartgefühl zu sehen: Als ich zur Gedenkstätte von Mutter Teresa ging und die Ordensschwestern gesehen habe, mit wie viel Zartgefühl sorgten sie sich um die Armen. Bitte, Zartgefühl! Niemals schimpfen. Weihwasser, niemals Essig! Immer mit jener Milde des Evangeliums, die die Seelen zu liebkosen vermag. Greifen wir ein Wort, das unser Bruder gesagt hat, wieder auf: Er hat von Karrierismus gesprochen. Wenn in das priesterliche Leben, in das Ordensleben der Karrierismus Einzug hält, verhärtet sich das Herz, es wird bitter, und das Zartgefühl geht verloren. Der Karrierist oder die Karrieristin hat die Fähigkeit zu liebkosen verloren.

Mir gefällt es, mir jede Familie vorzustellen als »Bild der Familie von Nazareth mit ihrem Alltag aus Ermüdung und sogar aus Alpträumen wie in dem Moment, als sie unter der unfassbaren Gewalt des Herodes leiden mussten – eine Erfahrung, die sich noch heute in vielen Familien ausgeschlossener und wehrloser Flüchtlinge tragisch wiederholt« (ebd., 30). Diesen Familien gelingt es durch den Glauben, den sie durch die täglichen Kämpfe angesammelt haben, »mit ein paar ärmlichen Windeln und einer Fülle zärtlicher Liebe einen Tierstall in das Haus Jesu zu verwandeln« (Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 286). Es bedarf der materiellen Mittel, sie sind notwendig, aber sie sind nicht das Wichtigste. Daher darf man die Fähigkeit zu liebkosen, das Zartgefühl im Dienstamt und das Zartgefühl des gottweihten Ordenslebens nicht verlieren.  

Danke, dass ihr das familiäre Angesicht des Gottes mit uns aufgezeigt habt. Er hört nicht auf, uns auch inmitten des Geschirrwaschens zu überraschen!

Liebe Brüder, liebe Schwestern, danke nochmals für diese Gelegenheit für die Kirche, tief Luft zu holen. Bitten wir den Heiligen Geist, dass er nie aufhören möge, uns für die Sendung zu erneuern, im Vertrauen auf das Wissen, dass er uns ganz mit seiner Gegenwart durchdringen möchte.

Und auch hier möchte ich gerne – du wirst jetzt beschämt sein! – einem von euch, einem Priester und Familienvater, danken, der dazu bereit war, als Dolmetscher zu fungieren. [Applaus]

 

[Gesang des Vaterunsers]

[Segen]

 


 
[1] V erborgenes Leben und Epiphanie (1940), in: Gesamtausgabe Band 20, Freiburg i. Br. 2015, 124-125.
[2] A. Comastri, Madre Teresa. Una goccia di acqua pulita, 39.

 



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