Index   Back Top Print

[ DE  - IT  - PT ]

ANSPRACHE VON JOHANNES PAUL II. 
AN EINE GRUPPE ÖSTERREICHISCHER ABGEORDNETER

Samstag, 22. März 1997

 

Sehr geehrter Herr Präsident des Bundesrates,
sehr geehrte Damen und Herren!

1.Gerne bin ich Ihrem ausdrücklichen Wunsch nach dieser Begegnung gefolgt und heiße Sie im Apostolischen  Palast herzlich willkommen. Gleichzeitig ist es mir ein. Anliegen, Ihnen bei diesem 'Treffen einige Gedanken über die Berufung des christlichen Politikers mit auf den Weg zu geben.

2. Die Pläne Gottes mit den Menschen schlagen sich nieder im »Evangelium von der Liebe Gottes zum Menschen«, im »Evangelium von der Würde der Person« und im »Evangelium vom Leben«, die »ein einziges, unteilbares Evangelium« bilden. (Johannes Paul II., Evangelium vitae, 2) Das eine Evangelium ist gleichsam das Handbuch eines jeden Christen, um seiner Berufung entsprechend - die »Kultur des Lebens« aufbauen zu helfen, damit die »Kultur des Todes« nicht die Oberhand gewinnt. Diese Aufgabe stellt sich nicht nur der Kirche als dem »Volk des Lebens für das Leben (vgl. Evangelium vitae, 78-79) sondern allen Menschen guten Willens, die bereit sind, dem Leben zu dienen und dadurch eine kulturelle Wende herbeizuführen. Dabei kommt es besonders auf die Politiker an, deren Auftrag darin besteht, Kulturträger des Lebens in der Gesellschaft zu werden.

3. Die Kultur des Lebens wird zunächst dort gepflegt, wo sie den persönlichen Bereich betrifft. »Denn was nützt es, wenn einer sagt, er habe Glauben, aber es fehlen die Werke?« (Jak 2, 14). Zu den wertvollsten Bausteinen dieser Kultur zählt deshalb das gute Beispiel. Wer Diener des Lebens sein will, braucht die Haltung des Respekts und der Toleranz denen gegenüber, mit denen er darüber ins Gespräch kommen will. Dies gilt auch für den Umgang mit Andersdenkenden, selbst wenn es dem einzelnen viele Anstrengungen, Geduld und vor allem einen langen Atem abverlangen mag. Trotzdem genügt es nicht, der Wahrheit das Wort zu reden, wenn man nicht gleichzeitig »Täter der Wahrheit« (Jak 1, 23) ist. Damit das Reden an Glaubwürdigkeit gewinnt, muß es im Leben durch Wahrhaftigkeit gedeckt sein: »Wahrhaftigkeit in den Beziehungen zwischen Regierenden und Regierten, Transparenz in der öffentlichen Verwaltung, Unparteilichkeit im Dienst am Staat, Achtung der Rechte auch der politischen Gegner«, (Johannes Paul II., Veritatis splendor, 101) In der Wahrheit fest verankert und zugleich getragen von der Achtung gegenüber dem anderen, dient der christliche Politiker dann dem Leben, wenn er das Evangelium so zur Richtschnur seines Handelns macht, wie es Petrus seiner Gemeinde ans Herz gelegt hat: »Seid stets bereit, jedem. Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt. Aber antwortet bescheiden und ehrfürchtig. Denn ihr habt ein reines Gewissen«.(1 Petr 3, 15-16)

4. Eine besondere Bewährungsprobe stellt sich dem Politiker, der gewillt ist, am Aufbau der Kultur des Lebens mitzuarbeiten, dadurch, daß er sich der Vielstimmigkeit einer pluralistischen Demokratie ausgesetzt sieht, in der Infragestellung und Widerspruch zur Tagesordnung gehören. Leider neigt man heute der Behauptung zu, der Agnostizismus und der skeptische Relativismus seien die Philosophie und die Grundhaltung, die den demokratischen politischen Formen entsprechen. Alle hingegen, die redlich nach der Erkenntnis der Wahrheit suchen und daran festhalten, seien vorn demokratischen Standpunkt her nicht vertrauenswürdig, weil sie nicht akzeptieren wollen, daß von der Mehrheit bestimmt wird, was Wahrheit sei. Zwar ist eine Politik aus christlichem Geist weit davon entfernt, anderen Menschen ihre Auffassung von dem, was wahr und gut ist, aufzuzwingen, sie wagt aber gleichzeitig zu behaupten, daß dann, wenn es keine letzte Wahrheit gibt, die Ideen und Überzeugungen verschiedener Individuen und Gruppen rasch für Machtzwecke mißbraucht werden können. Denn in einer Welt ohne Wahrheit verliert die Freiheit ihre Grundlage. »Eine Demokratie ohne Werte verwandelt sich, wie die Geschichte beweist, leicht in einen offenen oder hinterhältigen Totalitarisrnus«. (Johannes Paul II., Centesimus annus, 46) Deshalb gehört es zu den vordringlichen Aufgaben eines christlichen Politikers, dem Evangelium vorn Leben »auf allen Straßen der Welt« (Christifideles laici, 44) Gehör zu verschaffen, besonders in den Medien, deren Macht nicht zu unterschätzen ist. Dabei stellt er in erster Linie nicht sich selbst dar noch stellt er seine Person heraus, sondern die Wahrheit, der er sich verpflichtet weiß. Wie sich die klassische Philosophie als Hebammendienst an der Wahrheit verstand, so ist der christliche Politiker dazu berufen, dem Evangelium vom Leben zur Geburt zu verhelfen. Dabei tritt jener zurück, wenn dieses das Wort hat.

5. Unsere Überlegungen werden dort zum Ernstfall, wo ein Volk über seine eigenen Grenzen »für das Wohl aller und eines jeden« hinausdenkt, »weil wir alle für alle verantwortlich sind« (Sollicitudo rei socialis, 38).

Es ist daher zu begrüßen, daß sich die politische Solidarität heute in einer Spannbreite ausdrücken will, »die über die einzelne Nation oder den einzelnen Block von Nationen hinausgeht und sich als kontinental oder universal darstellt« (Christifideles laici, 42). Die Kirche kann sich deshalb nie zu antieuropäischer Demagogie und Gefühlsaufwallungen mißbrauchen lassen.

Denn zu einem vereinten Europa gibt es keine Alternative. Der Beitrag, den christliche Politiker in diesen Prozeß einzubringen vermögen, ist die Sicht von der unantastbaren Würde jeder menschlichen Person, auf deren Grundlage eine europäische Kultur des Lebens aufgebaut werden kann, die nicht nur darauf achtet, daß es sich in Europa ökonomisch und finanziell gut lebt, sondern auch darauf, daß es auf Werten aufgebaut ist, die es einst groß gemacht haben. Dabei wird der christliche Politiker nicht darauf verzichten, all das zu vertreten, was ihn sein Glaube lehrt und ihm sein Gewissen eingibt.

6. Sehr geehrte Damen und Herren!

Mit den Worten des Zweiten Vatikanischen Konzils danke ich Ihnen für alles, was sie für das politische Leben in Österreich und darüber hinaus tun: »Die Kirche zollt der Arbeit jener, die sich zum Dienst an den Menschen für das Wohl des Staates einsetzen und die Lasten eines solchen Amtes tragen, Anerkennung und Achtung« (Gaudium et spes, 75). Gleichzeitig bitte ich Sie um die »Gesinnung des Dienstes«, die neben der notwendigen Kompetenz und Fähigkeit das Wirken der Politiker so »durchsichtig« und »rein« erhalten kann, wie es das Volk berechtigterweise erwartet (vgl. Christifideles laici, 42). Dazu erteile ich Ihnen persönlich und allen, die mit Ihnen am Aufbau einer Kultur des Lebens arbeiten, von Herzen den Apostolischen Segen.

 

© Copyright 1997 - Libreria Editrice Vaticana

 



Copyright © Dicastero per la Comunicazione - Libreria Editrice Vaticana