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ANSPRACHE VON JOHANNES PAUL II.
AN DEN KAPUZINERORDEN
ANLÄSSLICH SEINES GENERALKAPITELS

Freitag, 7. Juli 2000

 

Liebe Brüder des Kapuzinerordens!

1. Mit Freude empfange ich euch anläßlich eures Generalkapitels. Herzlich grüße ich den Generalminister Bruder John Corriveau, dem ich für die Empfindungen danken möchte, die er in eurem Namen zum Ausdruck gebracht hat. Ich spreche ihm meine Glück- und Segenswünsche aus für das Amt, in dem er – im Dienste am Orden – vom Kapitel bestätigt wurde.

Eine der maßgebenden Biographien eures Ordensgründers berichtet, daß Papst Innozenz III., als er die Bitte des hl. Franziskus um Genehmigung zur Gründung einer »neuen« Form des geweihten Lebens erwog, sich durch einen Traum dazu ermutigt sah, eine zustimmende Antwort zu geben: ihm erschien die Lateranbasilika die einzustürzen drohte, doch neben ihr stand ein armer und kleiner Mann, der sie auf seinen Schultern trug, damit sie nicht in sich zusammenfalle (vgl. hl. Bonaventura, Leggenda Maggiore, III, 10; FF 1064; S. Classen, [Hrsg.] Das große Franziskusleben, [Franziskanische Quellenschriften, Bd. 7], Werl 1962, S. 277f.). Eure Ordensfamilie zeichnet sich seit ihren Anfängen durch die Verpflichtung zu großer Liebe zur Kirche und durch kindlichen Gehorsam und Treue gegenüber ihren Hirten aus. Dies ist eine Hinterlassenschaft des hl. Franz von Assisi. Aus all dem läßt sich sehr gut die Bedeutung eures heutigen Besuches erklären. Daher ist es angemessen, daß sich der Nachfolger Petri an euch wendet – Vertreter eurer über die ganze Welt verteilten Mitbrüder – um euch dazu zu ermutigen, auf dem eingeschlagenen Weg fortzufahren.

2. Das kürzlich begangene Pfingstfest lenkte unsere Aufmerksamkeit von neuem auf die vielfältigen Gaben, mit denen der Heilige Geist seine Kirche bereichern wollte. So ist das Leben der Braut Christi selbst eine Frucht der Ausgießung des Geistes, die von Jesus beim Letzten Abendmahl verheißen wurde (vgl. Joh 15,26–27; 16,4–15). Diese Ausgießung, die am Abend des Osterfestes (vgl. Joh 20,21–23) und am Morgen des Pfingstfestes (vgl. Apg 2,1–4) auf so lebendige Weise wahrgenommen werden konnte, macht die Kirche zu einem wunderbaren Gefüge aus verschiedenen persönlichen Realitäten, die sich in einer tiefen Gemeinschaft des Glaubens und der Liebe sammeln und sich in allen Völkern dafür einsetzen für den auferstandenen Christus Zeugnis abzulegen.

Auch die einzelnen Ordensinstitute mit ihren jeweiligen Charismen sind Frucht der Liebe des Geistes zur Kirche. In der Nachfolge Christi und in der Liebe zu seiner Person verdienen heute insbesondere »die Treue zum Gründungscharisma und dem sich daraus ergebenden geistlichen Erbe jedes Instituts« hervorgehoben zu werden (Vita consecrata, 36). »Das ›Charisma der Gründer‹ (Evangelica testificatio, 11) selbst offenbart sich als eine Erfahrung des Geistes, die den eigenen Jüngern übermittelt wird, damit es von ihnen gelebt, gehütet, vertieft und beständig entwickelt werde in Einklang mit dem stets wachsenden Leib Christi. Deshalb ›schützt und fördert die Kirche den eigenen Charakter der verschiedenen Ordensinstitute‹ (Lumen gentium, 44; vgl. Christus Dominus, 33, 35,1–2, usw.)… Es ist vonnöten, daß die Identität eines jeden Institutes mit solcher Gewißheit gewahrt werde, daß die Gefahr einer nicht ausreichend definierten Situation vermieden werden kann, durch die die Ordensleute – ohne die notwendige Erwägung des besonderen Stils, der ihrem Wesen eigen ist – in unbestimmter und ambivalenter Weise in das kirchliche Leben eingegliedert werden (Mutuae relationes, 11).

3. Die Begegnungen mit euch anläßlich eurer Generalkapitel gaben mir unter anderem die Gelegenheit, euren Einsatz zu würdigen, mit dem ihr euch darum bemüht, im Lichte der Lehre des Konzils, das geistige Erbe des hl. Franziskus von Assisi wiederzuentdecken. Hierbei versucht ihr mit großer Ernsthaftigkeit herauszufinden, was an eurem Charisma wirklich von wesentlicher Bedeutung ist. Ich ermutige euch, in dieser Richtung weiterzugehen und hierbei den Weisungen des Lehramts stets aufmerksam Folge zu leisten.

Zwei Aspekte solltet ihr euch dabei immer besonders vor Augen halten: erstens, die vom hl. Franziskus geforderte vorrangige und zentrale Bedeutung der Brüderlichkeit im Geiste des Evangeliums, die euch als Brüder auszeichnet und euch zu einem Brüderorden macht. In dieser Hinsicht wird es eure Aufgabe bleiben, jeden Aspekt eures Lebens an dem auszurichten, was für das franziskanisch-kapuzinische Charisma bezeichnend ist: der Geist des Gebets, die Ergebenheit und Einfachheit, die Armut und Strenge, die Volksnähe, die Nähe zu den Bedürftigen, der Eifer bei der Evangelisierung, die christliche Freude und Hoffnung. Kürzlich habt ihr bei eurer 6. Vollversammlung eure Aufmerksamkeit hinsichtlich dieser Werte wieder besonders auf die Entscheidung zur Armut gelenkt. Hierzu hat euch der erneuerte Sinn für Brüderlichkeit veranlaßt, der durch die Verbreitung eures Ordens in der ganzen Welt gefördert wird. Die jüngsten Probleme in unserer Gesellschaft rufen dazu auf, die Bedeutung der Armut im Geiste des Evangeliums in Brüderlichkeit zu vertiefen, und sie somit in gemeinschaftlicher, institutionalisierter und struktureller Form zu leben (vgl. Vorwort 4, Analecta OFMCap. 114 [1998] 825). In der Betrachtung des armen Christus werdet ihr eine Inspiration finden, nicht nur um persönlich ein Leben in Armut zu führen, sondern auch um die Armen zu lieben und ihnen zu dienen, die mein Vorgänger Paul VI. als ein »Sakrament« Christi bezeichnete (Acta Apostolicae Sedis 60 [1968] 620).

Zweitens habt ihr die Gelegenheit erkannt, die ganzheitliche, praktische und konkrete Lebenseinstellung des hl. Franziskus hervorzuheben. Man muß zu den Taten, den gelebten Werten, zur Methode der direkten Zeugnisgabe vordringen. Euch allen ist ja das Kriterium bekannt, auf das euer Gründer so gerne hinwies: »plus exemplo quam verbo«, [mehr durch das Beispiel, als durch Worte], (Drei-Gefährten-Legende, 36; 1440).

4. Euer Generalkapitel findet im Jahr des Großen Jubiläums statt. Dieser von der Vorsehung beabsichtigte Umstand darf nicht unberücksichtigt bleiben. Das Jubiläum stellt für das Volk Gottes ein Jahr der Gnade dar: es ist eine Zeit der Hinwendung zu einer noch wahrhaftigeren Nachfolge Christi, der inneren Erneuerung, der größeren Verbundenheit und Verfügbarkeit gegenüber dem Geist, der durch die Zeichen der Zeit zu den Gewissen spricht. In dem Maße, in dem ihr euch bemüht, in echter Weise eure franziskanisch-kapuzinische Berufung zu leben, werdet ihr voll und ganz in Einklang mit der Gnade dieser Jubiläumsfeierlichkeiten stehen. Mögen die Entscheidungen, die im Generalkapitel herangereift sind, euch dabei helfen, Christus, der vor zweitausend Jahren als Mensch in unsere Geschichte eintrat, immer mehr gleichförmig zu werden.

Möge euer Kapitel euch dabei helfen, mit franziskanischem Mut die Herausforderungen des neuen Jahrtausends anzugehen. Von ihnen geht vor dem Hintergrund der Neuheit des Evangeliums eine Einladung zur Kreativität, zum Wagemut und Optimismus aus. »In unserer Zeit wird von den Ordensleuten vor allem jene charismatische Unverfälschtheit verlangt – lebendig und einfallsreich in ihrem Erfindungsreichtum –, durch die sich in besonders auffälliger Weise die Ordensgründer auszeichnen« (Mutuae relationes, 23f.).

5. Euer Vater und Bruder Franziskus führe und geleite euch stets, wenn ihr euch für die Treue zu eurer Lebensform einsetzt, damit ihr – so wie er es wollte – zu wahrhaftigen Minderbrüdern werdet. Auch mögen eure Mitbrüder, die euch vorangegangen sind und die sich als Vorbilder anbieten, euch begleiten. An ihnen könnt ihr euch orientieren und ihnen nachstreben. Meine Gedanken gehen hierbei an die große Anzahl unter ihnen, die ich selbst während meines Pontifikates selig- oder heiligsprechen durfte. Schließlich helfe euch bei eurer »Antwort der Liebe und der vollkommenen Hingabe an Christus« (Vita consecrata, 112) Maria, die treue Jungfrau, »nach deren Vorbild ihr euer Leben Gott geweiht habt« (Evangelica testificatio, 56), mit ihrer mütterlichen Liebe.

Ich bitte euch, euren Mitbrüdern in der ganzen Welt meine Wertschätzung und Dankbarkeit für ihre Zeugnisgabe und ihren Dienst an der universalen Sendung der Kirche zu übermitteln. Allen Brüdern des Ordens in der ganzen Welt und euch, den Teilnehmern des Generalkapitels erteile ich von Herzen meinen Apostolischen Segen.

 

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