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ANSPRACHE VON JOHANNES PAUL II.
AN DEN NEUEN BOTSCHAFTER ÄTHIOPIENS ANLÄ
ßLICH
DER ÜBERGABE DER BEGLAUBIGUNGSSCHREIBEN*

Dienstag, 15. Mai 2003

 

Herr Botschafter!

Aus Anlaß der Überreichung Ihres Beglaubigungsschreibens, mit dem Sie zum außerordentlichen und bevollmächtigten Botschafter der Demokratischen Bundesrepublik Äthiopien beim Heiligen Stuhl ernannt werden, heiße ich Sie im Vatikan herzlich willkommen. Die guten Wünsche des Präsidenten und des Premierministers Ihres Landes nehme ich dankbar entgegen und bitte Sie, ihnen meinerseits meine herzlichen Wünsche zu übermitteln und sie meines Gebets für das Wohl der Nation zu versichern. Auch nehme ich die Gelegenheit wahr, meine aufrichtige Unterstützung für die Fortführung des Friedensprozesses zum Ausdruck zu bringen: Inständig hoffe ich, daß sich alle Beteiligten mit Mut und Weitblick dafür einsetzen, einen gerechten und dauerhaften, auf gegenseitigem Einvernehmen, Versöhnung und Zusammenarbeit gründenden Frieden wiederherzustellen.

Mit Freude weise ich in diesem Zusammenhang auf den aktiven Einsatz der internationalen Gemeinschaft bei der Vermittlung des ersten Waffenstillstands hin, auf die nachfolgenden Vereinbarungen zur Einstellung der Kampfhandlungen und die ständig angebotene Unterstützung für die volle Erfüllung der Forderungen dieser Abkommen. Besonders zu erwähnen sind die Äthiopisch-Eritreische Grenzkommission mit Hauptsitz in Den Haag wie auch die jüngste Resolution des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, mit der das Mandat der UN-Mission in Äthiopien und Eritrea verlängert wurde. Zweifellos ist die Unterstützung der weltweiten Völkerfamilie in diesem Prozeß von unschätzbarem Wert, aber dieser Einsatz darf keinesfalls die notwendige Bereitschaft der unmittelbar beteiligten Parteien ersetzen, klar und deutlich ihren guten Willen zu zeigen und ihre Entschlossenheit, die Situation zu lösen: Ihre Aufrichtigkeit und ihr Engagement sind unerläßlich bei der Überwindung aller sich möglicherweise ergebenden Schwierigkeiten und Spannungen. Daher unterstütze ich alle Bemühungen zur Wiederaufnahme des direkten Dialogs zwischen der äthiopischen und der eritreischen Regierung. Nur so kann eine wahre Versöhnung verwirklicht werden, die zur Normalisierung der Beziehungen, zur Öffnung der Grenzen, zum gegenseitigen Austausch unter der Bevölkerungsteilen und zur endgültigen Einstellung von gefährlichen militärischen Auseinandersetzungen führen wird.

Die Unabhängigkeit der Staaten kann nicht mehr ohne das Konzept gegenseitiger Abhängigkeit verstanden werden: In unserer modernen Welt sind alle Nationen in Freud und Leid miteinander verbunden. Damit die Beziehungen der gegenseitigen Interdependenz zu einem Weg werden, der das Los der Menschen in allen Teilen der Welt effektiv verbessert, müssen die Verantwortlichen auf allen Ebenen – ob im regionalen, nationalen oder internationalen Bereich – im Einklang mit den universalen moralischen Prinzipien handeln und Situationen der Ungerechtigkeit und institutionalisierter Korruption bekämpfen. Nicht mehr und nicht weniger kann man von einer guten Regierungsform erwarten. Zu Anfang dieses Jahres sagte ich zu den Mitgliedern des beim Heiligen Stuhl akkreditierten Diplomatischen Korps: »Das materielle und spirituelle Wohlergehen der Menschheit, der Schutz der Freiheiten und Rechte des Menschen, der selbstlose öffentliche Dienst, die Nähe zu den konkreten Lebenssituationen haben Vorrang vor allen politischen Programmen und stellen eine ethische Forderung dar, die den inneren Frieden der Nationen und den Frieden zwischen den Staaten am besten zu gewährleisten vermag« (Ansprache an das Diplomatische Korps, 13. Januar 2003, 6).

Exzellenz, Sie haben die zur Zeit in Äthiopien durchgeführten demokratischen und wirtschaftlichen Reformen erwähnt. Projekte wie diese zur Förderung wahren Fortschritts im sozialen, wirtschaftlichen und politischen Bereich erfordern einen starken und standhaften Einsatz für die unveräußerlichen Rechte und die Würde der menschlichen Person. In der Tat sind die Wahrung der Grundrechte und die Achtung der menschlichen Würde Voraussetzungen für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen. Stets muß die menschliche Person Mittelpunkt jeder Entwicklung sein. Und dieser spezielle Bereich ist es, auf dem die Kirche ihren wichtigen Beitrag leistet: Durch ihre Soziallehre ist sie bemüht, das moralische Bewußtsein für die Anforderungen der Gerechtigkeit zu vertiefen – Anforderungen, die auf dem unschätzbaren Wert und der zentralen Stellung der menschlichen Person gründen. Indem sie mit den Menschen unserer Zeit den tiefen und brennenden Wunsch nach einem in jeder Hinsicht gerechten Leben teilt, versäumt sie es nicht, über die verschiedenen Aspekte der Gerechtigkeit, wie sie das Leben der Menschen und der Gesellschaftsgruppen erfordert, nachzudenken (vgl. Dives in Misericordia, 12).

Ein wesentliches Element im harmonischen Zusammenleben einzelner Menschen und Gruppen ist die Gewissensfreiheit, die notwendigerweise in der Religionsfreiheit zum Ausdruck kommt. Sehr ermutigend ist hier die von Ihnen, Exzellenz, erwähnte konstitutionelle Gewährleistung der Religionsfreiheit in Äthiopien. Die Kirche selbst ist ein unermüdlicher Förderer des Rechts einzelner Personen wie auch organisierter religiöser Gemeinschaften, ihren Glauben frei zu bekennen und auszuüben. Tatsächlich dient die Achtung der religiösen Freiheit als Maßstab und Garantie für wahren sozialen Fortschritt. Die Religionsfreiheit selbst ist ein unerläßlicher Bestandteil jeder staatlichen Politik, die darum bemüht ist, der menschlichen Würde zu dienen. Diese Freiheit ist es, die der katholischen Kirche in Äthiopien ermöglicht, entsprechend ihrer besonderen Natur und Mission aktiv die praktischen Bemühungen zur Verbesserung der gesellschaftlichen Verhältnisse zu teilen und den konkreten Anforderungen des Menschen zu entsprechen.

Die Katholiken Äthiopiens sind bestrebt, Hand in Hand mit ihren Landsleuten tatkräftig für den politischen, sozialen und kulturellen Fortschritt ihrer Nation zu arbeiten. Somit folgen sie dem Beispiel ihres Herrn, der nicht gekommen ist, »um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen « (Mt 20,28). Für diesen besonderen Zweck sind zahlreiche Missionare – Mitglieder der Ordensgemeinschaften wie auch Laien – in Ihr Land gekommen, um ihren Dienst nicht nur im Rahmen des katholischen kirchlichen Lebens anzubieten, sondern auch auf dem weiten Feld der Erziehung, des Gesundheitswesens und der Sozialhilfe. Ihre Arbeit kommt nicht allein den Katholiken zugute, sondern sie dient dem Wohl aller Menschen. Meine Hoffnung ist es, daß die Regierung Äthiopiens und die staatlichen Behörden diesen Dienst der Kirche wertschätzen und die katholischen Missionare wie auch all jene unterstützen werden, die bemüht sind, ihren Einsatz für den Aufbau der äthiopischen Gesellschaft fortzusetzen.

Herr Botschafter, während Sie nun Ihre diplomatische Mission beim Heiligen Stuhl antreten, versichere ich Ihnen die Bereitschaft der verschiedenen Dienststellen und Einrichtungen der Römischen Kurie, Sie bei der Erfüllung ihrer Arbeit zu unterstützen. Ich wünsche Ihnen alles Gute und ein gutes Gelingen Ihrer Arbeit und erbitte von Herzen für Sie, für die Bevölkerung Äthiopiens und für alle, die in diesem Land Verantwortung tragen, den reichen Segen des allmächtigen Gottes.


* L'Osservatore Romano n. 37 p. 9.

 

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