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ANSPRACHE VON PAPST BENEDIKT XVI.
AN DIE MITGLIEDER DES NATIONALEN VERBANDS DER ITALIENISCHEN GEMEINDEN
 
 (A.N.C.I.)

Sala Clementina
Samstag, 12. März 2011

 

Meine sehr verehrten Damen
und Herren Bürgermeister!

Ich begrüße Sie alle sehr herzlich und danke Ihnen für Ihre Anwesenheit, die eine Tradition fortführt, die sich mit der Zeit gefestigt hat, wie es die vom ehrwürdigen Diener Gottes Johannes Paul II. und den vorangegangenen Päpsten gewährten Audienzen bezeugen. Daran hat auch der Präsident des Verbandes erinnert, dem ich für seine schönen Worte – voller Realismus, aber auch voll Poesie und Schönheit – danke, mit denen er in unsere Begegnung eingeführt hat. Sie ist eine Bestätigung für das besondere Band, das zwischen dem Papst, Bischof von Rom und Primas von Italien, und der italienischen Nation besteht, die unter anderem durch die Vielzahl ihrer Städte und Dörfer gekennzeichnet ist.

Bei der Begegnung mit den Vertretern des nationalen Verbandes der italienischen Gemeinden kommt einem als erster der Gedanke an die Ursprünge der Kommunen in den Sinn. Sie sind Ausdruck einer Gemeinschaft, in der es Begegnung, Dialog, gemeinsame Feste und Projekte gibt, eine Gemeinschaft von Gläubigen, die am Sonntag Gottesdienst feiert und sich anschließend auf den Plätzen der alten Städte oder vor der kleinen Dorfkirche auf dem Land zusammenfindet. Auch ein italienischer Dichter, Carducci, erinnert in seiner Ode auf das Volk der Carnia daran: »del comun la rustica virtù / Accampata all’opaca ampia frescura / Veggo, ne la stagion de la pastura / Dopo la messa il giorno de la festa… [der Gemeinde ländliche Tugend / Gelagert an der trüben und weiten frischen Kühle / Sehe ich in der Weidezeit / nach der Messe am Festtag]«. Auch heutzutage ist das Bedürfnis lebendig, in einer brüderlichen Gemeinschaft zu verweilen, wo zum Beispiel Pfarr- und Stadtgemeinden zugleich Urheber eines gerechten und solidarischen »modus vivendi« sind, auch inmitten aller Spannungen und Leiden des modernen Lebens. Die Vielfältigkeit der Personen und Situationen steht nicht im Gegensatz zur Einheit der Nation, an die das 150jährige Jubiläum erinnert, das gerade begangen wird. Einheit und Vielfalt sind – auf verschiedenen Ebenen, einschließlich der ekklesiologischen – zwei Werte, die sich gegenseitig bereichern, wenn sie im rechten und gegenseitigen Gleichgewicht gehalten werden.

Zwei Prinzipien, die diese harmonische Gleichzeitigkeit von Einheit und Vielfalt gewährleisten, sind Subsidiarität und Solidarität, die für die Soziallehre der Kirche charakteristisch sind. Diese Soziallehre beinhaltet Wahrheiten, die nicht nur zum Erbe eines gläubigen Menschen gehören, sondern für jeden rational zugänglich sind. Diese Prinzipien habe ich auch in der Enzyklika Caritas in veritate eingehender behandelt, in der das Subsidiaritätsprinzip als »Ausdruck der unveräußerlichen Freiheit des Menschen« betrachtet wird.

Denn »die Subsidiarität ist vor allem eine Hilfe für die Person durch die Autonomie der mittleren Gruppen und Verbände. Solche Hilfe wird geboten, wenn die Person und die sozialen Subjekte es nicht aus eigener Kraft schaffen, und schließt immer emanzipatorische Zielsetzungen ein, da sie die Freiheit und die Partizipation, insofern sie Übernahme von Verantwortung ist, fördert« (Nr. 57). Als solches handelt es sich hierbei »um ein besonders geeignetes Prinzip, um die Globalisierung zu lenken und sie auf eine echte menschliche Entwicklung auszurichten« (ebd.). »Das Prinzip der Subsidiarität muß in enger Verbindung mit dem Prinzip der Solidarität gewahrt werden und umgekehrt. Denn wenn die Subsidiarität ohne die Solidarität in einen sozialen Partikularismus abrutscht, so ist ebenfalls wahr, daß die Solidarität ohne die Subsidiarität in ein Sozialsystem abrutscht, das den Bedürftigen erniedrigt« (Nr. 58).

Diese beiden Prinzipien müssen auch auf der Ebene der Gemeinde angewandt werden, und das in einem zweifachen Sinn: in den Beziehungen zu den öffentlichen Einrichtungen auf der Ebene von Staat, Region und Provinz ebenso wie in den Beziehungen, die die städtischen Obrigkeiten zu den im Territorium anwesenden Körperschaften und mittleren Gruppen und Verbänden unterhalten. Da sie die Humanisierung und Sozialisierung fördern und sich vor allem den ausgegrenzten und bedürftigen gesellschaftlichen Gruppen widmen, ist die Aktivität letzterer von bedeutendem gesellschaftlichen Nutzen. Zu ihnen gehören auch zahlreiche kirchliche Institutionen wie Pfarreien, Oratorien, Häuser in der Trägerschaft von Ordensgemeinschaften, katholische Bildungs-, Erziehungs- und Hilfseinrichtungen. Ich wünsche, daß diese wertvolle Tätigkeit immer angemessene Wertschätzung und Unterstützung, auch in finanzieller Hinsicht, finden möge.

In diesem Zusammenhang möchte ich erneut unterstreichen, daß die Kirche keine Privilegien fordert, sondern nur darum bittet, frei ihre Sendung erfüllen zu können, wie es eine effektive Achtung der Religionsfreiheit erfordert. Diese ermöglicht in Italien die zwischen der zivilen und der kirchlichen Gemeinschaft bestehende Zusammenarbeit.

Leider sind die christlichen Minderheiten in anderen Ländern oft Opfer von Diskriminierung und Verfolgung. Ich möchte meine Wertschätzung für den Antrag vom 3. Februar 2011 zum Ausdruck bringen, der von Ihrem Nationalrat einstimmig befürwortet wurde. Er enthält die Aufforderung, die zum Verband gehörenden Gemeinden für diese Phänomene zu sensibilisieren, und bekräftigt zugleich »die unleugbare Eigenschaft der Religionsfreiheit als Grundlage für das freie und friedliche Zusammenleben der Völker«.

Außerdem möchte ich betonen, wie wichtig das Thema des »Bürgerrechtes« ist, das Sie in den Mittelpunkt ihrer Arbeiten gestellt haben. Die Kirche in Italien entwickelt derzeit zu diesem Thema eine reichhaltige Reflexion, vor allem seit dem Kirchentag von Verona, insofern das Bürgerrecht einen der grundlegenden Aspekte des Lebens und des Zusammenlebens der Menschen darstellt. Auch auf dem nächsten Nationalen Eucharistischen Kongreß in Ancona wird ein Tag diesem wichtigen Thema gewidmet sein, ein Tag, zu dem passenderweise die italienischen Bürgermeister eingeladen worden sind, wie uns gesagt wurde.

Heute steht das Bürgerrecht im Kontext der Globalisierung, die unter anderem durch große Migrationsströme gekennzeichnet ist. Angesichts dieser Realität muß man, wie ich eben bereits gesagt habe, Solidarität und Achtung der Gesetze zu vereinen wissen, damit das soziale Zusammenleben nicht völlig durcheinandergebracht wird und die Prinzipien des Rechts und der kulturellen und auch religiösen Tradition berücksichtigt werden, in denen die italienische Nation ihren Ursprung hat. Dieses Erfordernis spüren ganz besonders Sie, die Sie lokale Verwaltungsaufgaben wahrnehmen und so dem täglichen Leben der Menschen näher sind. Von Ihnen wird immer eine besondere Hingabe im öffentlichen Dienst gefordert, den Sie für die Bürger leisten, um Zusammenarbeit, Solidarität und Menschlichkeit zu fördern. Die Geschichte hat uns Beispiele von Bürgermeistern vor Augen gestellt, die mit ihrem Ansehen und Einsatz das Leben der Gemeinden geprägt haben: zu Recht haben Sie an die Gestalt von Giorgio La Pira erinnert, vorbildlicher Christ und hochgeschätzter Bürgermeister im öffentlichen Dienst. Möge diese Tradition fortgeführt werden und zum Wohl des Landes und seiner Bürger Frucht tragen! Dafür versichere ich Sie meines Gebetes und fordere sie auf, verehrte Freunde, auf den Herrn zu vertrauen, denn – wie der Psalm sagt – »wenn nicht der Herr die Stadt bewacht, wacht der Wächter umsonst« (127,1).

Während ich die mütterliche Fürsprache der Jungfrau Maria anrufe, die vom italienischen Volk in zahlreichen Heiligtümern – Orten der Spiritualität, der Kunst und der Kultur – verehrt wird, und die heiligen Schutzpatrone Franz von Assisi und Katharina von Siena um ihre Fürsprache bitte, segne ich Sie alle sowie Ihre Mitarbeiter und die gesamte italienische Nation.

 



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