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PAPST FRANZISKUS

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 12. Februar 2020

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Liebe Brüder und Schwestern,
guten Tag!

Wir haben den Weg durch die Seligpreisungen angetreten, und heute sprechen wir über die zweite Seligpreisung: Selig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden. In der griechischen Sprache, in der das Evangelium geschrieben ist, wird diese Seligpreisung mit einem Verb ausgedrückt, das nicht passiv – denn die Seligen erleiden diese Trauer nicht –, sondern aktiv ist: »sie trauern«; sie weinen, aber von innen heraus. Es geht um eine Haltung, die in der christlichen Spiritualität zentral geworden ist und die die Wüstenväter, die ersten Mönche der Geschichte, als »penthos« bezeichnet haben: als einen inneren Schmerz, der offen macht für eine Beziehung zum Herrn und zum Nächsten, für eine erneuerte Beziehung zum Herrn und zum Nächsten.

Diese Trauer kann in den Heiligen Schriften zwei Aspekte haben: Der erste ist die Trauer um den Tod oder um das Leiden eines Menschen. Der andere Aspekt sind die Tränen über die Sünde – über die eigene Sünde –, wenn das Herz blutet über den Schmerz, Gott und den Nächsten verletzt zu haben. Es geht also darum, den anderen so zu lieben, dass wir uns so sehr an ihn oder an sie binden, dass wir sogar ihren Schmerz teilen. Es gibt Menschen, die distanziert sind, einen Schritt zurückbleiben; es ist jedoch vielmehr wichtig, dass die anderen eine Bresche in unser Herz schlagen. Ich habe oft über die Gabe der Tränen gesprochen und darüber, wie wertvoll sie ist.[1] Kann man auf kalte Weise lieben? Kann man funktionell, aus Pflicht lieben? Gewiss nicht. Es gibt Trauernde, die getröstet werden müssen, aber manchmal gibt es auch Getröstete, die zum Trauern gebracht, geweckt werden müssen, die ein Herz aus Stein und das Weinen verlernt haben. Auch jene Menschen, die sich vom Schmerz anderer nicht berühren lassen, müssen geweckt werden. Die Trauer um einen Verstorbenen zum Beispiel ist ein bitterer Weg, aber er kann nützlich sein, um die Augen zu öffnen für das Leben und für den heiligen und unersetzbaren Wert eines jeden Menschen, und in dem Augenblick wird man sich bewusst, wie kurz die Zeit ist. Diese paradoxe Seligpreisung hat noch eine zweite Bedeutung: über die Sünde weinen. Hier muss man unterscheiden: Es gibt Menschen, die zornig werden, weil sie einen Fehler gemacht haben. Aber das ist Stolz. Andere dagegen weinen über das Böse, das sie getan, das Gute, das sie unterlassen haben, über den Verrat an der Beziehung zu Gott.

Das ist die Trauer darüber, nicht geliebt zu haben, die daraus entspringt, dass einem das Leben anderer am Herzen liegt. Hier weint man, weil man dem Herrn nicht entspricht, der uns so sehr liebt, und uns betrübt der Gedanke an das nicht getane Gute; das ist das Sündenbewusstsein. Diese sagen: »Ich habe jemanden verletzt, den ich liebe«, und das schmerzt sie bis zu den Tränen. Gott sei gesegnet, wenn diese Tränen kommen! Das ist das Thema der eigenen Fehler, denen man sich stellen muss – ein schwieriges, aber lebenswichtiges Thema. Denken wir an die Tränen des heiligen Petrus, die ihn zu einer neuen und viel wahreren Liebe führen: Diese Trauer reinigt, erneuert. Petrus sah Jesus an und weinte: Sein Herz wurde erneuert. Im Unterschied zu Judas, der nicht akzeptierte, dass er einen Fehler gemacht hatte, und Selbstmord beging, der Ärmste. Die Sünde zu verstehen ist eine Gabe Gottes, es ist ein Werk des Heiligen Geistes. Allein können wir die Sünde nicht verstehen. Es ist eine Gnade, um die wir bitten müssen. Herr, lass mich verstehen, dass ich Böses getan habe oder tun kann. Das ist ein sehr großes Geschenk, und wenn man das verstanden hat, dann kommen die Tränen der Reue.

Einer der ersten Mönche, Ephräm der Syrer, sagt, dass das von den Tränen gereinigte Gesicht unsagbar schön sei (vgl. Asketische Abhandlungen). Die Schönheit der Reue, die Schönheit des Weinens, die Schönheit der Bußfertigkeit! Wie immer hat das christliche Leben in der Barmherzigkeit ihren besten Ausdruck. Weise und selig ist, wer den mit der Liebe verbundenen Schmerz annimmt, denn er wird den Trost des Heiligen Geistes empfangen, die Zärtlichkeit Gottes, der vergibt und zurechtweist. Gott vergibt immer: Vergessen wir das nicht. Gott vergibt immer, auch die schlimmsten Sünden, immer. Das Problem ist in uns, die wir müde werden, um Vergebung zu bitten, und in uns selbst verschließen und nicht um Vergebung bitten. Das ist das Problem; aber er ist da, um zu vergeben.

Wenn wir uns stets vor Augen halten: Gott »handelt an uns nicht nach unsern Sünden und vergilt uns nicht nach unsrer Schuld« (Ps 103,10), dann leben wir in der Barmherzigkeit und im Mitgefühl, und in uns erscheint die Liebe. Möge der Herr uns gewähren, überreich zu lieben, mit einem Lächeln zu lieben, mit der Nähe, mit dem Dienen und auch mit der Trauer.

* * *

Herzlich grüße ich die Pilger deutscher Sprache, insbesondere die Seminaristen des Bischöflichen Priesterseminars Fulda. Lasst uns den Trauernden beistehen mit der tröstlichen Botschaft des Glaubens. Bitten wir auch um die schmerzhafte aber heilsame Erkenntnis unserer Sünden und um den Trost und die Freude der Vergebung!


[1] Vgl. Nachsynodales Apostolisches Schreiben Christus vivit, 76; Ansprache an die Jugendlichen auf dem Sportplatz der Santo-Tomas-Universität Manila, 18. Januar 2015; Predigt am Aschermittwoch, 18. Februar 2015.

 



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