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BOTSCHAFT VON PAPST JOHANNES PAUL II.
FÜR DIE FASTENZEIT 1990

 

 

Liebe Schwestern und Brüder in Christus!

1. Jedes Jahr darf ich beim Herannahen der Fastenzeit die Gelegenheit wahrnehmen, um mich an Euch zu wenden und diese gelegene Zeit zu nützen, „diese Tage des Heiles“ (vgl. 2 Kor 6,21), damit alle in besonderer Weise eine Erneuerung in doppelter Weise leben mögen, in der Hinwendung zu Gott und in der vertieften Liebe zu den Mitmenschen.

Die Fastenzeit ruft uns intensiv auf eine grundsätzliche Umkehr im Geiste und im Herzen zu machen, um die Stimme des Herrn neu zu hören, der uns einlädt, mit Ihm das Leben neu zu leben; er wünscht auch, dass wir immer mehr alle Leiden der Menschen sehen, die mit uns leben.

Dieses Jahr will ich in besonderer Weise Euch einladen ein Problem zu betrachten: die Flüchtlinge, Aussiedler und Ausgewiesenen. Die wachsende Zahl der Flüchtlinge ist eine leidvolle Wirklichkeit in dieser Welt, in der wir leben. Diese Tatsache der Flüchtlinge gibt es nicht nur in einigen Regionen, sondern in allen Kontinenten.

„Menschen ohne Heimat“: Das sind die Flüchtlinge; sie suchen eine Aufnahme in anderen Ländern der Erde, die unser gemeinsames Haus ist. Wenigen von ihnen ist es möglich, wieder in ihre Heimat zurückzukehren, aufgrund geänderter politischer Lage. Für Viele dauert die leidvolle Situation des Exils an, der Unsicherheit und der sorgenvollen Suche für eine angemessene Lösung für ihre Wohnung, Arbeit und ihr Leben. Unter ihnen sind die Kinder, die Frauen, die Witwen, die oft getrennten Familien; junge Menschen, die frustriert über ihre fehlenden Zukunftsaussichten sind; Erwachsenen, die aus ihren Berufen herausgerissen, ihrer materiellen Güter, ihrer Häuser, ihres Vaterlandes und ihrer Heimat beraubt sind.

2. Angesichts der umfassenden und schweren Lage dieses Problems müssen sich alle Glieder unserer Kirche als Jünger Christi angesprochen fühlen, denn Jesus Christus selbst hat das Schicksal eines Flüchtlings ertragen und er war doch der Verkünder des Evangeliums der Liebe. Christus selbst hat in seinen Worten, die die Kirche am Montag der ersten Fastenwoche liest, sich selbst in jedem Flüchtling erkennen und identifizieren wollen: „Ich war obdachlos und ihr habt mich aufgenommen … ich war obdachlos und ihr habt mich nicht aufgenommen“ (Mt 25, 35.43).

Diese Worte müssen uns zu einer genauen Gewissensforschung anleiten über unsere Haltung gegenüber den Flüchtlingen und Ausgewiesene. Wir treffen sie tatsächlich jeden Tag in so vielen Pfarreien. Sie sind wirklich der Nächste unserer Nächsten geworden. Deshalb bedürfen sie der Liebe, der Gerechtigkeit und der Solidarität aller Christen.

3. An Euch, besonders an Euch, liebe Mitglieder und Gemeinschaften unserer Katholischen Kirche, darf ich meine dringende und ermahnende Einladung in dieser Fastenzeit richten, dass Ihr alle vorhandenen Möglichkeiten ausschöpft, um den Mitmenschen, also unseren Flüchtlingen beizustehen. Ihr sollt entsprechenden Wege der Aufnahme überlegen und verwirklichen, um ihnen die volle Einführung in die Gesellschaft zu ermöglichen und ihnen auf diese Weise ein offenes Herz und einen offenen Geist der Mitmenschlichkeit in Liebe zu zeigen.

Die Sorge um die Flüchtlinge muss uns anspornen, die Menschenrechte, die universell anerkannt sind, neu zu bekräftigen und zu unterstreichen, und zu fordern, dass sie auch für die Flüchtlinge wirksam in Tat umgesetzt werden. Wie ich bereits am 3. Juni 1986, anlässlich der Verleihung des Internationalen Friedenspreises Johannes XXIII. an das „Katholische Büro für Notstand und Flüchtlinge“ (COERR), an das Rundschreiben Pacem in terris dieses großen Papstes erinnerte, in welchem dargelegt wird, dass die Flüchtlinge ausnahmslos volle Menschenrechte haben, die anerkannt werden müssen, so bestätige ich heute wieder, dass „es gilt, immer wieder jene unveräußerlichen Rechte zu garantieren, die jedem Menschen innerlich geschenkt sind und nicht nur aufgrund von natürlichen Faktoren oder sozialen Situationen zugebilligt werden“. (N. 6)

Es handelt sich darum, den Flüchtlingen das Recht zuzustehen, eine Familie zu gründen und sich frei zu versammeln, die Möglichkeit eine sichere Beschäftigung zu haben, die ihnen würdig ist und als solche auch entsprechend entlohnt wird. Sie haben das Recht auf menschenwürdiges Wohnen, eine entsprechenden Schulbildung für ihre Kinder und die Jugend und haben auch Recht auf entsprechende medizinische Betreuung. Alle diese Rechte sind seit 1951 feierlich verabschiedet worden und im Übereinkommen der Vereinten Nationen auch für die Flüchtlinge im Statut niedergelegt; sie wurden 1967 in einem Protokoll bestätigt.

4. Angesichts der so großen Probleme weiß ich die Arbeit der Internationalen Organisationen, der Katholischen Organisationen und der verschiedenen Bewegungen und Initiativen zu schätzen, die sich um entsprechende soziale Programme bemühen, und wo so viele Menschen ihren Beitrag leisten und ihre Mitarbeit einsetzen.

Ich danke allen und darf sie ermutigen mit immer größerer Offenheit diese Anliegen aufzunehmen. Wenn man auch schon viel tut, so wissen wir auch, dass es noch nicht genug ist. Es ist eine Tatsache, dass die Zahl der Flüchtlinge wächst und dass die Möglichkeit der Aufnahme und der Hilfe sich nicht in entsprechender Weise entfaltet.

Unsere vorrangige Verpflichtung ist es, dass alle daran teilnehmen, die Hilfe und Unterstützung mit unserem Zeugnis der Liebe durch ständige wirksame karitative Werke zu fördern. Vor allem geht es auch darum, dass es in allen Ländern gelingt, die Bildung und  Erziehung der Kinder und der Jugend zum gegenseitigen Respekt, zur Toleranz, zum Geist des Dienens auf allen Ebenen von privaten und öffentlichen Stellen zu durchdringen. So wird sich die Überwindung vieler Probleme leichter ermöglichen lassen.

5. Und so wende ich mich an Euch, liebe Schwestern und Brüder, die Ihr Flüchtlinge seid: gestaltet Euer Leben vereint im Glauben an Gott, in gegenseitiger Liebe und mit einer unerschütterlichen Hoffnung. Die ganze Welt kennt Eure Schicksale. Die Kirche ist Euch nahe mit der Hilfe, die die Glieder der Kirche Euch gerne geben; dabei wissen sie, dass trotz großer Anstrengungen die Hilfe noch zu wenig ist. Um Eure Schwierigkeiten zu lindern, ist es notwendig, dass Ihr Euren guten Willen und Euer Können für gute Lösungen einsetzt. Ihr seid reich mit Eurer Kultur und Zivilisation, mit Euren Traditionen, mit Euren menschlichen und geistigen Werten, und diese alle sind eine wertvolle Hilfe für Euch und geben Euch die Fähigkeit ein neues Leben zu beginnen. Leistet auch Ihr, in den Grenzen Eurer Möglichkeit, den Beitrag und die gegenseitige Hilfe an den Orten wo Ihr vorübergehend aufgenommen werdet.

Die Kirche begleitet Euch und steht Euch auf Eurem schweren Weg bei. Wir sehen in allen von Euch das Angesicht Christi, des Flüchtlings, und erinnern uns, was Er sagte: „Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr für mich getan“. (Mt 25,40)

6. Am Beginn der Fastenzeit erbitte ich den Reichtum der Gnade und des Lichtes, die aus dem Mysterium des Leidens und der Auferstehung des Erlösers Jesus Christus ausstrahlen, damit alle Gläubigen und die kirchlichen und religiösen Gemeinschaften der ganzen Kirche die Erleuchtung und die Kraft finden für die konkreten Werke der Solidarität zum Wohl unserer Flüchtlinge und Ausgewiesenen, die unsere Schwestern und Brüder sind. Mögen dadurch auch sie alle, die Flüchtlinge ganz besonders, gestärkt durch die wirksamen Hilfen und das offene Interesse ihrer Nächsten selbst wieder Freude und Hoffnung schöpfen auf ihrem mühevollen Lebensweg.

Möge Gottes Segen, den ich erbitte, alle begleiten, die sich für dieses Anliegen öffnen und diesen dringenden Appell von mir aufnehmen.  

Aus dem Vatikan, am 8. September 1989

 

IOANNES PAULUS II



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