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BOTSCHAFT VON PAPST BENEDIKT XVI.
 ZUM SYMPOSIUM DES
INTERNATIONALEN ZENTRUMS DER NEWMAN-FREUNDE

 

 

An den verehrten Pater
HERMANN GEISSLER FSO
Direktor des Internationalen Zentrums der Newman-Freunde

Während ich mit Freude daran denke, daß ich bei meiner jüngsten Reise nach Großbritannien Kardinal John Henry Newman selig sprechen konnte, richte ich einen herzlichen Gruß an Sie, an die verehrten Sprecher und an alle Teilnehmer des Symposiums, das vom Internationalen Zentrum der Newman-Freunde in Rom organisiert worden ist. Ich möchte meine Wertschätzung für das gewählte Thema zum Ausdruck bringen: „Der Primat Gottes im Leben und in den Schriften des seligen John Henry Newman“. Dieses Thema unterstreicht treffend die Gottbezogenheit, die als grundlegende Ausrichtung die Persönlichkeit und das Werk des großen englischen Theologen charakterisierte.

Es ist bekannt, daß der junge Newman zwar dank seiner Mutter die „Religion der Bibel“ kennenlernen konnte, dann aber eine Zeit voller Schwierigkeiten und Zweifel durchlebte. Im Alter von vierzehn Jahren stand er unter dem Einfluß von Philosophen wie Hume und Voltaire. Da er sich in den von ihnen vorgebrachten Einwänden gegen die Religion wiederfand, wandte er sich, den humanistischen und liberalen Strömungen seiner Zeit entsprechend, einer Art Deismus zu.

Im darauffolgenden Jahr empfing Newman jedoch die Gnade der Bekehrung und fand Ruhe „bei dem Gedanken, daß es zwei und nur zwei Wesen gebe, die absolut und von einleuchtender Selbstverständlichkeit sind: ich selbst und mein Schöpfer“ (J. H. Newman, Apologia pro vita sua, Media Maria Verlag, Illertissen 2010, S. 63). Er entdeckte die objektive Wahrheit eines persönlichen und lebendigen Gottes, der zum Gewissen spricht und dem Menschen sein Geschöpfsein offenbart. Er erkannte, daß er wesensmäßig von Demjenigen abhing, der das Prinzip aller Dinge ist, und fand in Ihm den Ursprung und Sinn seiner Identität und Einzigartigkeit als Person. Diese besondere Erfahrung bildet die Grundlage für den Primat Gottes in Newmans Leben.

Nach seiner Bekehrung ließ er sich von zwei grundlegenden Worten leiten, die er dem Buch Die Macht der Wahrheit des Kalvinisten Thomas Scott entnommen hatte und die den Primat Gottes in seinem Leben hervorragend zum Ausdruck bringen. Das erste – „Heiligkeit vor Frieden“ (ebd., S. 64) – belegt seinen festen Willen, mit dem eigenen Gewissen dem inneren Lehrmeister zu folgen, sich vertrauensvoll dem Vater zu überlassen und getreu die erkannte Wahrheit zu leben. Diese Ideale haben später „einen hohen Preis gefordert“. Newman mußte sowohl als Anglikaner wie auch als Katholik viele Prüfungen, Enttäuschungen und Erfahrungen des Nichtverstandenseins erleiden. Er gab jedoch nie falschen Kompromissen nach und begnügte sich nicht mit einem oberflächlichen Konsens. Er blieb immer aufrichtig in seiner Suche nach der Wahrheit, treu gegenüber den Aufrufen des eigenen Gewissens und ausgerichtet auf das Ideal der Heiligkeit.

Das zweite von Newman gewählte Motto – „Wachstum ist der einzige Beweis des Lebens“ (ebd.) – bekundet treffend seine Bereitschaft zur ständigen Bekehrung, zum Wandel und zum inneren Wachstum, stets voll Zuversicht auf Gott gestützt. So entdeckte er seine Berufung zum Dienst am Wort Gottes. Er wandte sich den Kirchenvätern zu, um mehr Licht zu finden, arbeitete für eine echte Erneuerung des Anglikanismus und konvertierte schließlich zur katholischen Kirche. Seine eigene Erfahrung des Wachsens in Treue zu sich selbst und zum Willen des Herrn faßte er in den bekannten Worten zusammen: „Hienieden heißt leben sich wandeln, und vollkommen sein heißt sich oft gewandelt haben“ (J. H. Newman, Über die Entwicklung der Glaubenslehre, Matthias-Grünewald-Verlag, Mainz 1969, S. 41). Newman war während seines ganzen Lebens ein Mensch, der sich bekehrte, der sich wandelte, und auf diese Weise blieb er immer er selbst und fand immer mehr zu sich selbst.

Das Wissen um den Primat Gottes prägt zutiefst auch die zahlreichen Schriften Newmans. In dem genannten Werk Über die Entwicklung der Glaubenslehre schrieb er, „daß es eine Wahrheit gibt; daß es nur eine Wahrheit gibt; … daß das Forschen nach der Wahrheit keine bloße Befriedigung der Neugier ist; daß ihre Erlangung nichts von der Erregung einer Entdeckung hat; daß der menschliche Geist der Wahrheit unterworfen ist, nicht über sie herrscht; daß er verpflichtet ist, statt großspurig über sie zu reden, ihr in Ehrfurcht zu begegnen“ (S. 309). Für Newman zeigt sich der Primat Gottes im Primat der Wahrheit: einer Wahrheit, die man vor allem dadurch suchen muß, daß man das eigene Herz aufnahmebereit macht, und zwar durch eine offene und aufrichtige Auseinandersetzung mit allen Menschen; einer Wahrheit, die ihren Gipfel findet in der Begegnung mit Christus, der „der Weg und die Wahrheit und das Leben“ ist (Joh 14,6). Newman legte für die Wahrheit Zeugnis ab durch sein reiches literarisches Schaffen, das von der Theologie zur Poesie, von der Philosophie zur Pädagogik, von der Exegese zur Geschichte des Christentums und von Romanen zu Betrachtungen und Gebeten reicht.

Bei der Darlegung und Verteidigung der Wahrheit achtete Newman stets auch auf eine angemessene Sprache, auf die rechte Form und auf den passenden Ton. Er bemühte sich, nie jemanden zu verletzen, vom freundlichen inneren Licht („kindly light“) Zeugnis zu geben und durch Demut, Freude und Geduld zu überzeugen. In einem Gebet wandte er sich an den heiligen Philipp Neri und bat, „daß mein Gesicht immer offen und heiter sei und meine Worte freundlich und gütig, wie es denen geziemt, die in jeder Lebenslage das köstlichste der Güter ihr eigen nennen: die Huld Gottes und die Hoffnung auf die ewige Seligkeit“ (J. H. Newman, Betrachtungen und Gebete, Kösel Verlag, München 1952, S. 342).

Dem seligen John Henry Newman, der uns meisterhaft lehrt, daß der Primat Gottes der Primat der Wahrheit und der Liebe ist, vertraue ich die Überlegungen und Arbeiten dieses Symposiums an und erteile Ihnen und allen Teilnehmern gerne auf Fürsprache der Jungfrau Maria, der Mutter der Kirche, den erbetenen Apostolischen Segen als Unterpfand reicher himmlischer Gaben.

Aus dem Vatikan, am 18. November 2010

BENEDIKT XVI.

 

 

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