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PAPST FRANZISKUS

GENERALAUDIENZ

Petersplatz
Mittwoch, 27. Juni 2018

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Grußworte des Heiligen Vaters in der Audienzhalle

Katechese des Heiligen Vaters


An die Mitglieder der Organisation »Deaf Catholic Youth Initiative of the Americas« (DCYIA):

Liebe Freunde! Ich heiße die Gruppe »Deaf Catholic Youth Initiative of the Americas « herzlich willkommen. Ich bete dafür, dass eure Pilgerreise – die ihr unter das Motto gestellt habt: »Eine Zeit, um mit Jesus unterwegs zu sein« – euch helfen möge, in der Liebe zu Christus und untereinander zu wachsen. Der Herr behält einen besonderen Platz in seinem Herzen für alle vor, die irgendeine Behinderung haben, und so ist es auch für den Nachfolger des heiligen Petrus! Ich hoffe, dass die Zeit, die ihr in Rom verbringen werdet, euch geistlich bereichern und euer Zeugnis der Liebe Gottes zu allen seinen Kindern stärken möge. Ihr setzt eure Reise fort, und ich bitte euch, daran zu denken, für mich zu beten. Möge der allmächtige Gott euch alle überreich segnen!

An die Delegation der Organisation »Special Olympics«:

Einen besonderen Willkommensgruß richte ich an die Delegation der Organisation »Special Olympics« anlässlich ihres 50. Gründungstages. Die Welt des Sports bietet den Menschen besondere Gelegenheit, im gegenseitigen Verständnis und in der Freundschaft zu wachsen. Und ich bete dafür, dass dieses Olympische Feuer ein Zeichen der Freude und der Hoffnung auf den Herrn sein möge, der seinen Kindern die Gaben der Einheit und des Friedens schenkt. Auf alle, die die Ziele der »Special Olympics« unterstützen, rufe ich gern den Segen der Freude und des Friedens des allmächtigen Gottes herab.

 


KATECHESE DES HEILIGEN VATERS

Liebe Brüder und Schwestern,
guten Tag!

Die heutige Audienz wird wie am vergangenen Mittwoch ablaufen. In der »Aula Paolo VI« sind viele kranke Menschen. Sie sind dort, damit sie vor der Hitze geschützt sind und es bequemer haben. Sie werden die Audienz jedoch über den Großbildschirm verfolgen und auch wir mit ihnen: Es gibt also keine zwei Audienzen. Es gibt nur eine. Grüßen wir die Kranken in der »Aula Paolo VI«.

Wir wollen fortfahren, über die Gebote zu sprechen, die, wie gesagt, nicht so sehr Gebote, sondern vielmehr Worte Gottes an sein Volk sind, um ihm auf seinem Weg zu helfen; liebevolle Worte eines Vaters. Die zehn Worte beginnen so: »Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus dem Land Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus« (Ex 20,2). Dieser Anfang scheint nichts mit den eigentlichen Gesetzen zu tun zu haben, die dann folgen. Aber es ist nicht so.

Warum gibt es diese Erklärung, die Gott über sich selbst und über die Befreiung macht? Weil man am Berg Sinai ankommt, nachdem man durch das Rote Meer gezogen ist: Der Gott Israels rettet erst, und dann bittet er um Vertrauen.[1] Anders ausgedrückt: Der Dekalog beginnt bei der Großherzigkeit Gottes. Gott bittet nie, ohne vorher zu geben. Nie. Erst rettet er, erst gibt er, dann bittet er. So ist unser Vater, der gute Gott.

Und wir verstehen die große Bedeutung der ersten Erklärung: »Ich bin der Herr, dein Gott.« Es gibt ein besitzanzeigendes Fürwort, es gibt eine Beziehung, man gehört zueinander. Gott ist kein Fremder: Er ist dein Gott.[2] Das erleuchtet den ganzen Dekalog und offenbart auch das Geheimnis des christlichen Handelns, denn es ist dieselbe Haltung Jesu, der sagt: »Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt« (Joh 15,9). Christus ist der geliebte Sohn des Vaters, und er liebt uns mit derselben Liebe. Er geht nicht von sich aus, sondern vom Vater. Oft scheitern unsere Werke, weil wir von uns selbst ausgehen und nicht von der Dankbarkeit. Und wer von sich selbst ausgeht, wo kommt der an? Er kommt bei sich selbst an! Er ist unfähig voranzukommen, sondern kehrt zu sich selbst zurück. Es ist genau jene egoistische Haltung, von der die Leute scherzhaft sagen: »Dieser Mensch ist ein Ich, mir, mit mir und für mich.« Er geht von sich selbst aus und kehrt zu sich selbst zurück. Das christliche Leben ist vor allem die dankbare Antwort an einen großherzigen Vater. Die Christen, die nur »Pflichten« erfüllen, zeigen an, dass sie keine persönliche Erfahrung haben mit jenem Gott, der »unser« ist. Ich muss das und das und das tun… Nur Pflichten. Aber dir fehlt etwas!

Was ist die Grundlage dieser Pflicht? Die Grundlage dieser Pflicht ist die Liebe Gottes, des Vaters, der erst gibt und dann gebietet. Das Gesetz vor die Beziehung zu stellen hilft dem Glaubensweg nicht. Wie kann ein Jugendlicher sich wünschen, Christ zu sein, wenn wir bei Pflichten, Aufgaben, Konsequenz beginnen und nicht bei der Befreiung? Christ zu sein ist doch ein Weg der Befreiung! Die Gebote befreien dich von deinem Egoismus, und sie befreien dich, weil die Liebe Gottes dich voranbringt. Die christliche Unterweisung gründet nicht auf der Willenskraft, sondern auf der Annahme des Heils – darauf, sich lieben zu lassen: erst das Rote Meer, dann der Berg Sinai. Zuerst das Heil: Gott rettet sein Volk im Roten Meer; dann sagt er ihm auf dem Sinai, was es tun soll. Aber jenes Volk weiß, dass es diese Dinge tut, weil es von einem Vater gerettet wurde, der es liebt. Die Dankbarkeit ist ein Wesenszug des Herzens, das vom Heiligen Geist besucht wurde; um Gott zu gehorchen, muss man vor allem seiner Wohltaten gedenken. Der heilige Basilius sagt: »Wer diese Wohltaten nicht vergisst, der wendet sich der guten Tugend und jedem Werk der Gerechtigkeit zu« (Regulae brevius tractatae, 56).

Wohin führt uns all das? Dazu, uns in Erinnerung zu üben:[3]Wie viele schöne Dinge hat Gott für jeden von uns getan! Wie großherzig ist unser himmlischer Vater! Jetzt möchte ich euch eine kleine Übung vorschlagen, in der Stille, jeder möge in seinem Herzen antworten. Wie viele schöne Dinge hat Gott für mich getan? Das ist die Frage. In der Stille möge jeder von uns antworten. Wie viele schöne Dinge hat Gott für mich getan? Das ist die Befreiung Gottes. Gott tut viele schöne Dinge und befreit uns. Jemand könnte jedoch spüren, dass er noch keine echte Erfahrung mit der Befreiung Gottes gemacht hat. Das kann passieren. Es könnte sein, dass man in sich selbst hineinschaut und dort nur Pflichtgefühl findet, eine Spiritualität von Sklaven und nicht von Kindern. Was kann man in diesem Fall tun? Das, was das auswählte Volk getan hat.

Im Buch Exodus heißt es: »Die Israeliten stöhnten noch unter der Sklavenarbeit; sie klagten und ihr Hilferuf stieg aus ihrem Sklavendasein zu Gott empor. Gott hörte ihr Stöhnen und Gott gedachte seines Bundes mit Abraham, Isaak und Jakob. Gott blickte auf die Israeliten. Gott hatte es wahrgenommen « (Ex 2,23-25). Gott denkt an mich. Das befreiende Handeln Gottes, das an den Beginn des Dekalogs – also der Gebote – gestellt wird, ist die Antwort auf diese Klage. Wir retten uns nicht allein, aber von uns kann ein Hilferuf ausgehen: »Herr, rette mich; Herr, weise mir den Weg; Herr, liebkose mich; Herr, schenk mir ein wenig Freude.« Das ist ein Ruf, der um Hilfe bittet.

Das ist unsere Aufgabe: darum zu bitten, vom Egoismus, von der Sünde, von den Ketten der Sklaverei befreit zu werden. Dieser Ruf ist wichtig, er ist Gebet, er ist Bewusstsein dessen, was in uns noch unterdrückt und nicht befreit ist. Es gibt viele nicht befreite Dinge in unserer Seele. »Rette mich, hilf mir, befreie mich.« Das ist ein schönes Gebet zum Herrn. Gott wartet auf diesen Ruf, weil er unsere Ketten zerbrechen will; Gott hat uns nicht ins Leben gerufen, um unterdrückt zu bleiben, sondern um frei zu sein, in Dankbarkeit zu leben und mit Freude ihm zu gehorchen, der uns so viel gegeben hat, unendlich viel mehr als wir ihm jemals geben könnten. Das ist schön. Gott sei stets gepriesen für alles, was er in uns vollbracht hat, vollbringt und vollbringen wird!

* * *

Gerne heiße ich die Brüder und Schwestern deutscher Sprache willkommen. Besonders grüße ich die verschiedenen Schulgruppen, die an dieser Audienz teilnehmen. Der Anfang des Dekalogs erinnert uns daran, dass Gott uns zuerst geliebt hat. Unser Leben nach den Geboten ist Antwort auf das liebende Handeln Gottes und Ausdruck unserer Dankbarkeit. Der Heilige Geist schenke uns stets seine Gnade.


 

[1] In der rabbinischen Überlieferung gibt es diesbezüglich einen erhellenden Text: »Warum sind die zehn Worte nicht am Anfang der Thora gesagt worden? […] Womit ist das zu vergleichen? Mit einem, der in eine Stadt zog. Er sprach zu ihnen (den Bewohnern): Ich will über euch König sein. Sie sprachen zu ihm: Hast du irgendetwas für uns getan, dass du über uns König sein willst? Was machte er? Er baute ihnen die Mauer, leitete ihnen den Wasserkanal zu, führte für sie Kriege. (Hierauf) sprach er: Ich will über euch König sein. Da sprachen sie zu ihm: Ja und ja! So führte Gott die Israeliten aus Ägypten, spaltete ihnen das Meer, ließ ihnen das Manna herabkommen, ließ ihnen den Brunnen emporsteigen, trieb ihnen die Wachteln zu, führte für sie Krieg mit Amalek. (Darauf) sprach er zu ihnen: Ich will über euch König sein. Da sprachen sie zu ihm: Ja und ja!« (J. Winter / A. Wünsche (Hrg.), Mechilta. Ein tannaitischer Midrasch zu Exodus, Leipzig 1909, S. 206).

[2]Vgl. Benedikt XVI., Enzyklika Deus caritas est, 17: »Die Liebesgeschichte zwischen Gott und Mensch besteht eben darin, dass diese Willensgemeinschaft in der Gemeinschaft des Denkens und Fühlens wächst und so unser Wollen und Gottes Wille immer mehr ineinanderfallen: der Wille Gottes nicht mehr ein Fremdwille ist für mich, den mir Gebote von außen auferlegen, sondern mein eigener Wille aus der Erfahrung heraus, dass in der Tat Gott mir innerlicher ist als ich mir selbst. Dann wächst Hingabe an Gott. Dann wird Gott unser Glück«.

[3] Vgl. Predigt in der Messe in Santa Marta, 7. Oktober 2014: »Was bedeutet Beten? Es bedeutet, vor Gott unserer Geschichte zu gedenken. Denn unsere Geschichte ist die Geschichte seiner Liebe zu uns.« Vgl. Apophthegmata Patrum: »Vergessenheit ist die Wurzel aller Übel.«

 


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