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ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS
ZUR ERÖFFNUNG DER KIRCHLICHEN TAGUNG DER DIÖZESE ROM

Basilika Sankt Johann im Lateran
Donnerstag, 16. Juni 2016

[Multimedia]


 

Guten Abend!

Alle fünf Kirchenschiffe sind voll. Gut! Man sieht, dass ihr arbeiten wollt. »Die Freude der Liebe: der Weg der Familien in Rom«: So lautet das Thema eurer Diözesantagung. Ich werde nicht damit beginnen, über das Apostolische Schreiben zu sprechen, da ihr es in verschiedenen Arbeitsgruppen in Augenschein nehmen werdet. Zusammen mit euch möchte ich einige grundlegende Ideen und Spannungen aufgreifen, die auf dem synodalen Weg zum Vorschein gekommen sind und die uns helfen können, den Geist, der im Apostolischen Schreiben zum Ausdruck kommt, besser zu verstehen. Das Dokument soll euren Reflexionen und Gesprächen Orientierung geben und so »den Familien in ihrem Einsatz und ihren Schwierigkeiten Ermutigung und Anregung bieten« (AL, 4). Und ich möchte diese grundlegenden Ideen und Spannungen gern durch drei biblische Bilder zum Ausdruck bringen, die es uns ermöglichen, mit dem Wehen des Geistes in der Entscheidungsfindung der Synodenväter in Berührung zu kommen.

1. »Leg deine Schuhe ab; denn der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden« (Ex 3,5). Diese Aufforderung richtete Gott an Mose vor dem brennenden Dornbusch. Das Gebiet, das in der Synode durchquert, die Themen, die darin aufgegriffen werden mussten, setzten eine bestimmte Haltung voraus. Es ging nicht darum, irgendein Thema zu untersuchen; wir standen nicht irgendeiner Situation gegenüber. Wir standen vor den konkreten Gesichtern vieler Familien. Und ich habe erfahren, dass die Synodenväter in einigen Arbeitsgruppen auf der Synode über die Situation in ihrer eigenen Familie gesprochen haben. Um den Themen sozusagen »ein Gesicht zu geben«, bedurfte und bedarf es einer Atmosphäre des Respekts, die uns helfen kann zu hören, was Gott uns in unseren Situationen sagt: kein diplomatischer oder politisch korrekter Respekt, sondern ein Respekt voll Fürsorglichkeit und ehrlicher Fragen, die auf die Sorge für das Leben der Menschen, die wir zu weiden berufen sind, abzielten.

Wie sehr hilft es doch, den Themen ein Gesicht zu geben! Und wie sehr hilft es zu erkennen, dass hinter den Dokumenten ein Gesicht steht, wie sehr hilft das! Es befreit uns davon, voreilige Schlüsse zu ziehen, die gut formuliert sind, aber denen es sehr oft an Leben mangelt; es befreit uns von abstrakten Diskursen, damit wir uns den konkreten Menschen nähern und für sie Sorge tragen können. Es bewahrt uns davor, den Glauben zu ideologisieren durch gut durchdachte Systeme, die jedoch die Gnade außen vor lassen. Sehr oft werden wir zu Pelagianern! Und das kann nur in einer Atmosphäre des Glaubens vor sich gehen. Der Glaube drängt uns, unermüdlich die Gegenwart Gottes im Wandel der Geschichte zu suchen. Jeder von uns hat Erfahrungen mit der Familie. In einigen Fällen fällt die Dankbarkeit leichter als in anderen, aber wir alle haben diese Erfahrungen gemacht. In diesem Umfeld ist Gott uns entgegengekommen. Sein Wort ist zu uns gekommen – nicht als Folge abstrakter Thesen, sondern als Reisegefährte, der uns im Leiden gestützt, im Fest beseelt und uns stets auf das Ziel des Weges verwiesen hat (vgl. AL, 22). Das erinnert uns daran, dass unsere Familien, die Familien in unseren Pfarreien mit ihren Gesichtern, ihren Geschichten, mit all ihren Komplikationen kein Problem sind, sondern eine Chance, vor die Gott uns stellt. Diese Chance fordert uns heraus, eine missionarische Kreativität zu erwecken, die in der Lage ist, alle konkreten Situationen – in unserem Fall die der römischen Familien – anzunehmen.

Nicht nur die Situation derer, die in die Pfarrgemeinden kommen oder schon dort sind – das wäre wohl recht einfach –, sondern um die Familien in unseren Stadtvierteln zu erreichen, die nicht kommen. Diese Begegnung fordert uns heraus, nichts und niemanden verloren zu geben, sondern stets aufs Neue nach der Hoffnung zu suchen, zu wissen, dass Gott in unseren Familien weiterhin am Werk ist. Sie fordert uns heraus, niemanden im Stich zu lassen, weil er dem nicht gewachsen ist, was von ihm verlangt wird. Und das zwingt uns, die Grundsatzerklärungen hinter uns zu lassen, um uns mitten in das schlagende Herz der römischen Stadtviertel hineinzubegeben und in dieser Wirklichkeit den Traum Gottes wie Kunsthandwerker auszuformen. Doch das können nur gläubige Menschen tun, die sich dem Wirken des Heiligen Geistes nicht in den Weg stellen und die sich die Hände schmutzig machen. Um über das Leben unserer Familien nachzudenken, so wie sie sind und so wie man sie vorfindet, müssen wir die Schuhe ablegen, um die Gegenwart Gottes zu entdecken. Das ist ein erstes biblisches Bild. Hingehen: Dort ist Gott. Gott, der beseelt, Gott der lebt, Gott, der gekreuzigt ist… Aber es ist Gott.

2. Jetzt das zweite biblische Bild. Das Bild des Pharisäers, der zum Herrn betete und sagte: »Gott, ich danke dir, dass ich nicht wie die anderen Menschen bin, die Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner dort« (Lk 18,11). Eine Versuchung (vgl. AL, 229), der wir ständig ausgesetzt sind, ist die, eine separatistische Logik zu haben. Das ist interessant. Um uns zu verteidigen, glauben wir, immer dann an Identität und Sicherheit zu gewinnen, wenn wir uns von den anderen absetzen oder isolieren, besonders von denen, die in einer anderen Situation leben. Identität wird jedoch nicht durch Trennung hergestellt: Identität wird durch Zugehörigkeit hergestellt.

Meine Zugehörigkeit zum Herrn: Das gibt mir Identität. Nicht, mich von den anderen zu distanzieren, damit sie mich nicht »anstecken«. Ich halte es für notwendig, einen wichtigen Schritt zu tun: Wir können die Wirklichkeit nicht untersuchen, über sie nachdenken und erst recht nicht über sie beten, so als befänden wir uns an verschiedenen Ufern oder auf verschiedenen Wegen, so als stünden wir außerhalb der Geschichte. Wir alle müssen umkehren, wir alle müssen uns vor den Herrn stellen und jedes Mal den Bund mit ihm erneuern und zusammen mit dem Zöllner sagen: Gott, sei mir Sünder gnädig! Mit diesem Ausgangspunkt bleiben wir auf derselben »Seite« – nicht getrennt voneinander, sondern auf derselben Seite – und stellen uns vor den Herrn in einer Haltung der Demut und des Zuhörens.

Unsere Familien mit derselben Einfühlsamkeit zu betrachten, mit der Gott sie betrachtet, hilft uns natürlich, unserem Bewusstsein dieselbe Ausrichtung zu geben. Wenn wir die Betonung auf die Barmherzigkeit legen, stellt uns das der Wirklichkeit realistisch gegenüber – jedoch nicht mit irgendeinem Realismus, sondern mit dem Realismus Gottes. Unsere Untersuchungen sind wichtig, sind notwendig, und sie helfen uns, zu einem gesunden Realismus zu gelangen. Aber nichts ist vergleichbar mit dem Realismus des Evangeliums, der nicht bei der Beschreibung der Situationen, der Probleme – und schon gar nicht bei der Sünde – haltmacht, sondern stets darüber hinausgeht und hinter jedem Gesicht, jeder Geschichte, jeder Situation eine Gelegenheit, eine Möglichkeit zu sehen vermag. Der Realismus des Evangeliums bemüht sich um den anderen, um die anderen und macht Ideale und das »Sein Müssen« nicht zu einem Hindernis, den anderen in den Situationen zu begegnen, in denen sie sich befinden. Es geht nicht darum, das Ideal des Evangeliums nicht anzubieten: Nein, darum geht es nicht. Im Gegenteil, wir sind aufgefordert, es in der Geschichte zu leben, mit allem, was dazugehört. Und das bedeutet nicht, in der Lehre nicht klar zu sein, sondern zu vermeiden, in Urteile und Haltungen zu verfallen, die der Komplexität des Lebens nicht Rechnung tragen. Der Realismus des Evangeliums macht sich die Hände schmutzig, denn er weiß, dass »Weizen und Unkraut« zusammen wachsen und dass der beste Weizen – in diesem Leben – stets mit etwas Unkraut gemischt sein wird. »Ich verstehe diejenigen, die eine unerbittlichere Pastoral vorziehen, die keinen Anlass zu irgendeiner Verwirrung gibt«, ich verstehe sie. »Doch ich glaube ehrlich, dass Jesus Christus eine Kirche möchte, die achtsam ist gegenüber dem Guten, das der Heilige Geist inmitten der Schwachheit und Hinfälligkeit verbreitet: eine Mutter, die klar ihre objektive Lehre zum Ausdruck bringt und zugleich ›nicht auf das mögliche Gute [verzichtet], auch wenn [sie] Gefahr läuft, sich mit dem Schlamm der Straße zu beschmutzen‹.« Eine Kirche, die fähig ist, »die Logik des Mitgefühls mit den Schwachen anzunehmen und Verfolgungen oder allzu harte und ungeduldige Urteile zu vermeiden.

Das Evangelium selbst verlangt von uns, weder zu richten, noch zu verurteilen (vgl. Mt 7,1; Lk 6,37)« (AL, 308). Und hier mache ich einen Einschub. Ich habe das Bild – ihr kennt es sicher – von einem Kapitell der Basilika Saint-Marie-Madeleine in Vézelay in Südfrankreich in die Hände bekommen, wo der Jakobsweg beginnt: Auf der einen Seite ist Judas, erhängt, mit heraushängender Zunge, und auf der anderen Seite das Kapitells ist Jesus, der gute Hirt, der ihn auf der Schulter trägt, er nimmt ihn mit. Das ist ein Geheimnis.

Aber die Menschen des Mittelalters, die durch diese Abbildungen die Katechese lehrten, hatten dieses Geheimnis des Judas verstanden. Und Primo Mazzolari hat eine schöne Predigt darüber gehalten, an einem Gründonnerstag, eine schöne Predigt. Er ist kein Priester dieser Diözese, sondern Italiens. Ein Priester Italiens, der die Komplexität der Logik des Evangeliums gut verstanden hat. Und wer sich am meisten die Hände schmutzig gemacht hat, ist Jesus. Jesus hat sich am meisten schmutzig gemacht. Er war kein »Saubermann«, sondern er ging zu den Menschen, mitten unter die Menschen und nahm die Menschen so, wie sie waren, nicht wie sie sein sollten. Kehren wir zum biblischen Bild zurück: »Herr, ich danke dir, dass ich von der Katholischen Aktion bin oder von jenem Verband oder von der Caritas oder von diesem oder von jenem… und nicht wie die, die in den Stadtvierteln wohnen und Räuber und Verbrecher sind und …« Das hilft der Pastoral nicht!

3. Das dritte biblische Bild: »Eure Alten werden prophetische Träume haben« (vgl. Joël 3,1). Das war eine der Prophezeiungen Joëls für die Zeit des Geistes. Die Alten werden Träume haben, und die Jungen werden Visionen haben. Mit diesem dritten Bild möchte ich die Bedeutung hervorheben, die die Synodenväter dem Wert des Zeugnisses gegeben haben – als dem Ort, an dem man den Traum Gottes und das Leben der Menschen finden kann. In dieser Prophezeiung haben wir eine unumstößliche Realität vor Augen: In den Träumen unserer alten Menschen liegt oft die Möglichkeit für unsere jungen Menschen, neue Visionen zu haben, wieder eine Zukunft zu haben – ich denke an die jungen Menschen in Rom, in den Randgebieten von Rom –, ein Morgen zu haben, eine Hoffnung zu haben. Wenn jedoch 40 Prozent der jungen Menschen im Alter von 25 Jahren oder darunter keine Arbeit haben, welche Hoffnung können sie dann haben? Hier in Rom. Wie kann man einen Weg finden? Diese beiden Wirklichkeiten – die alten und die jungen Menschen –, gehören zusammen, brauchen einander und sind miteinander verbunden. Es ist schön, Eheleuten, Paaren zu begegnen, die als alte Menschen einander immer noch suchen, einander anschauen, einander weiterhin lieben und erwählen. Es ist so schön, »Großeltern« zu begegnen, die in ihren mit der Zeit faltig gewordenen Gesichtern die Freude zeigen, die daraus entsteht, eine Entscheidung aus Liebe und für die Liebe getroffen zu haben. Nach »Santa Marta« kommen viele Paare, die ihren 50. oder 60. Hochzeitstag feiern, auch in die Mittwochsaudienzen.

Und ich umarme sie immer und danke ihnen für ihr Zeugnis und frage: »Wer von euch hat mehr Geduld gehabt?« Und immer sagen sie: »Alle beide!« Manchmal sagt einer scherzhaft: »Ich!«, aber dann sagt er: »Nein, nein, das ist ein Scherz.« Und einmal gab es eine sehr schöne Antwort. Ich glaube, dass alle es gedacht haben, aber ein Paar, das seit 60 Jahren verheiratet war, hat es zum Ausdruck gebracht: »Wir sind immer noch ineinander verliebt!« Wie schön! Die Großeltern geben Zeugnis. Und ich sage immer: Lasst es die jungen Menschen sehen, die schnell müde werden und nach zwei oder drei Jahren sagen: »Ich gehe zu meiner Mutter zurück.« Die Großeltern! Als Gesellschaft haben wir unsere alten Menschen ihrer Stimme beraubt – das ist eine gesellschaftliche Sünde unserer Zeit! –, wir haben ihnen ihren Raum genommen; wir haben ihnen die Möglichkeit genommen, uns von ihrem Leben zu erzählen, ihre Geschichten, ihre Erfahrungen mitzuteilen. Wir haben sie beiseite geschoben und haben so den Reichtum ihrer Weisheit verloren. Wenn wir sie aussondern, sondern wir die Möglichkeit aus, mit dem Geheimnis in Berührung zu kommen, das es ihnen gestattet hat voranzukommen. Wir haben uns des Zeugnisses von Ehepaaren beraubt, die nicht nur die Zeit überdauert haben, sondern in ihrem Herzen dankbar sind für alles, was sie erlebt haben (vgl. AL, 38).

Durch diesen Mangel an Vorbildern, an Zeugnissen, diesen Mangel an Großeltern, an Eltern, die in der Lage sind, ihre Träume mitzuteilen, können die jungen Generationen keine »Visionen haben«. Und sie verharren im Stillstand. Sie können keine Pläne machen, da die Zukunft Unsicherheit, Misstrauen, Angst erzeugt. Nur das Zeugnis unserer Eltern – zu sehen, dass es möglich war, für etwas zu kämpfen, das sich gelohnt hat – wird ihnen helfen, den Blick zu erheben. Wie können wir den Anspruch erheben, dass die jungen Menschen die Herausforderung der Familie, der Ehe als Geschenk leben, wenn sie uns ständig sagen hören, dass sie eine Last ist? Wenn wir »Visionen« haben wollen, dann müssen wir unsere Großeltern erzählen lassen, sie uns ihre Träume mitteilen lassen, damit wir Prophezeiungen für das Morgen haben können. Und hier möchte ich einen Augenblick innehalten. Dies ist die Stunde, um die Großeltern zum Träumen zu ermutigen. Wir brauchen die Träume der Großeltern und müssen diese Träume hören. Das Heil kommt von hier. Nicht zufällig wird das Jesuskind, als es zum Tempel gebracht wird, von zwei »Großeltern« empfangen, die von ihren Träumen berichtet haben: Jener alte Mann [Simeon] hatte »geträumt«, der Heilige Geist habe ihm verheißen, dass er den Herrn sehen würde. Dies ist die Stunde – und es ist keine Metapher –, dies ist die Stunde, in der die Großeltern träumen müssen.

Man muss sie drängen zu träumen, uns etwas zu sagen. Sie fühlen sich ausgesondert, wenn nicht sogar verachtet. In den Pastoralplänen sagen wir gerne: »Dies ist die Stunde des Muts«, »dies ist die Stunde der Laien«, »dies ist die Stunde…« Wenn ich es sagen sollte: Dies ist die Stunde der Großeltern! »Aber Vater, Sie sind rückwärtsgewandt, Sie sind vorkonziliar!« Es ist die Stunde der Großeltern: die Großeltern müssen träumen und die jungen Menschen müssen lernen, Prophezeiungen zu machen und mit ihrer Kraft, mit ihrer Phantasie, mit ihrer Arbeit die Träume der Großeltern zu verwirklichen. Dies ist die Stunde der Großeltern. Und ich wünsche mir sehr, dass ihr bei euren Reflexionen darüber nachdenkt. Das wünsche ich mir sehr.

Drei Bilder, um Amoris laetitia zu lesen: 1. Das Leben eines jeden Menschen, das Leben jeder Familie muss mit viel Respekt und viel Fürsorge behandelt werden. Besonders, wennwir über diese Dinge nachdenken.

2. Hüten wir uns, eine Pastoral der Ghettos und für Ghettos auf die Beine zu stellen.

3. Geben wir den alten Menschen Raum, damit sie wieder träumen.

Drei Bilder, die uns in Erinnerung rufen, dass »der Glaube […] uns nicht von der Welt [entfernt], sondern er zieht uns tiefer in sie hinein« (AL, 181). Nicht wie jene Perfekten und Makellosen, die meinen, alles zu wissen, sondern als Menschen, die die Liebe, die Gott zu uns hat, erkannt haben (vgl. 1 Joh 4,16). Und in diesem Vertrauen, mit dieser Gewissheit, mit viel Demut und Respekt wollen wir uns allen unseren Brüdern annähern, um die Freude der Liebe in der Familie zu leben. In diesem Vertrauen verzichten wir auf die »Umzäunungen«, die »uns erlauben, gegenüber dem Kern des menschlichen Leids auf Distanz zu bleiben, damit wir dann akzeptieren, mit dem konkreten Leben der anderen ernsthaft in Berührung zu kommen und die Kraft der Zartheit kennen lernen« (AL, 308). Das bedeutet für uns, dass wir eine Familienpastoral entwickeln müssen, die fähig ist anzunehmen, zu begleiten, Entscheidungen zu treffen und Menschen zu integrieren.

Eine Pastoral, die es gestattet und ermöglicht, das geeignete Gerüst herzustellen, das dem uns anvertrauten Leben die Unterstützung gibt, die es braucht, um sich so zu entwickeln, wie es dem Traum – gestattet mir diesen Reduktionismus – dem Traum des »Ältesten« entspricht: dem Traum Gottes. Danke.

FRAGEN UND ANTWORTEN

Kardinal Vallini:

Jetzt wird der Heilige Vater drei Fragen anhören, die aus dem Vorbereitungsweg zu unserer Tagung hervorgegangen sind. Als erster spricht Giampiero Palmieri, Pfarrer von »San Frumenzio«.

Giampiero Palmieri:

Eure Heiligkeit, guten Abend. Im Apostolischen Schreiben Evangelii gaudium sagen Sie, dass das große Problem von heute der »bequeme, begehrliche« Individualismus sei. Und in Amoris laetitia sagen Sie, dass man Netze der Beziehungen zwischen den Familien herstellen solle. Sie gebrauchen einen Ausdruck, der im Italienischen einen etwas negativen Klang hat: die »erweiterte Familie«. Erweiterte Familie, Netze der Beziehungen zwischen den Familien, nicht nur in der Kirche, sondern auch in der Gesellschaft, wo die Kleinsten, die Ärmsten, die alleinstehenden Frauen, die alten Menschen Aufnahme finden können. Es bedarf einer Revolution der Zärtlichkeit, einer mystischen Brüderlichkeit. Ja, auch wir spüren den Virus des Individualismus in unseren Gemeinschaften; auch wir sind Kinder dieser Zeit. Daher brauchen wir Hilfe, um dieses Netz der Beziehungen zwischen den Familien zu schaffen, das fähig ist, die Verschlossenheit zu durchbrechen und einander wieder zu begegnen. Das kann vielleicht bedeuten, viele Dinge in unseren Pfarreien zu ändern, viele Dinge, die sich im Laufe der Zeit verfestigt haben: Feindschaften, Spaltungen, alte Ressentiments. Das ist die Frage.

Papst Franziskus:

Es ist wahr, dass der Individualismus gleichsam die Achse dieser Kultur ist. Und dieser Individualismus hat viele Namen, viele Namen mit egoistischer Wurzel: Sie suchen immer sich selbst, schauen nicht auf den anderen, schauen nicht auf die anderen Familien… Manchmal kommt es sogar zu wahren pastoralen Grausamkeiten. Zum Beispiel habe ich, als ich in Buenos Aires war, folgende Erfahrung gemacht: In einer benachbarten Diözese wollten einige Pfarrer die Kinder alleinstehender Mütter nicht taufen. Gibt es denn sowas? So als wären es Tiere. Und das ist Individualismus. »Nein, wir sind die Vollkommenen, das ist der Weg…« Es ist ein Individualismus, der auch nach Genuss strebt, der hedonistisch ist.

Ich sage jetzt ein etwas hartes Wort, aber ich sage es in Anführungszeichen: dieser »verdammte Wohlstand«, der uns so viel Schlechtes gebracht hat. Der Wohlstand. Heute hat Italien einen erschreckenden Rückgang der Geburtenrate; sie liegt, glaube ich, unter null. Das hat jedoch mit der Kultur des Wohlstands begonnen, vor einigen Jahrzehnten… Ich habe viele Familien kennengelernt, die lieber – ich bitte die Tierschützer, mich jetzt nicht anzuklagen, denn ich will niemanden beleidigen – die lieber zwei oder drei Katzen oder einen Hund hatten als ein Kind. Denn ein Kind zur Welt zu bringen ist nicht einfach und es dann auch noch aufzuziehen… Aber die größte Herausforderung bei einem Kind besteht darin, dass du eine Person aufziehst, die dann frei wird. Der Hund, die Katze schenken dir Zuneigung, aber eine »programmierte« Zuneigung, die bis zu einem gewissen Punkt geht, die nicht frei ist. Du hast ein, zwei, drei, vier Kinder, und sie werden frei sein, und sie müssen ins Leben hinausgehen mit den Gefahren, die das Leben mit sich bringt. Das ist die Herausforderung, die Angst macht: die Freiheit.

Und wir kommen wieder zum Individualismus zurück: Ich glaube, dass wir Angst vor der Freiheit haben. Auch in der Pastoral: »Was werden die Leute sagen, wenn ich das mache? … Geht das denn?« Und er hat Angst. »Du hast Angst: Riskiere es! In dem Augenblick, wo du da bist und dich entscheiden musst: Riskiere es! Wenn du einen Fehler machst, ist der Beichtvater da, ist der Bischof da, aber riskiere es! Es ist wie beim Pharisäer: die Pastoral mit sauberen Händen, aller sauber, alles in Ordnung, alles schön. Aber außerhalb dieses Umfelds: wie viel Elend, wie viel Schmerz, wie viel Armut, wie viel Mangel an Entwicklungsmöglichkeiten! Es ist ein hedonistischer Individualismus, es ist ein Individualismus, der Angst vor der Freiheit hat. Es ist ein Individualismus, der dich – ich weiß nicht, ob man es im Italienischen so sagen kann –»in den Käfig sperrt«. Er sperrt dich in den Käfig, lässt dich nicht frei fliegen.

Und dann, ja, die erweiterte Familie. Es stimmt, es ist ein Wort, das nicht immer einen guten Klang hat, aber je nach der Kultur. Das Apostolische Schreiben habe ich auf Spanisch verfasst… Ich habe zum Beispiel Familien kennengelernt… Gerade neulich, vor einer oder zwei Wochen, ist der Botschafter eines Landes gekommen, um die Beglaubigungsschreiben zu überreichen. Der Botschafter war mit der Familie da und der Frau, die seit vielen Jahren in ihrem Haus die Putzarbeiten macht: Das ist eine erweiterte Familie. Und diese Frau gehörte zur Familie: eine alleinstehende Frau, und sie bezahlten sie nicht

nur gut und im gesetzlichen Rahmen, sondern als sie zum Papst gehen mussten, um die Beglaubigungsschreiben zu überreichen: »Du kommst mit, denn du gehörst zur Familie.« Das ist ein Beispiel. Das bedeutet, Menschen einen Platz zu geben. Und bei einfachen Menschen, mit der Einfachheit des Evangeliums, jener guten Einfachheit, gibt es solche Fälle, in denen die Familie erweitert wird… Und dann hast du noch einen Schlüsselbegriff genannt. Außer dem Individualismus, der Angst vor der Freiheit und der Genusssucht hast du noch ein Wort erwähnt: die Zärtlichkeit. Es ist die Liebkosung Gottes, die Zärtlichkeit. Einmal wurde auf einer Synode Folgendes zur Sprache gebracht: »Wir müssen die Revolution der Zärtlichkeit machen.« Und einige Väter – vor Jahren – haben gesagt: »Aber das kann man so nicht sagen, es klingt nicht gut.« Aber heute können wir es sagen: Es fehlt an Zärtlichkeit, es fehlt an Zärtlichkeit. Nicht nur die Kinder, die Kranken liebkosen: alles liebkosen, die Sünder… Und es gibt gut Beispiele für die Zärtlichkeit… Die Zärtlichkeit ist eine Sprache, die für die Kleinen gilt, für jene, die nichts haben: Ein Kind erkennt den Vater und die Mutter an den Liebkosungen. Dann an der Stimme, aber die Zärtlichkeit bleibt immer.

Und ich höre es gern, wenn ein Vater oder eine Mutter mit ihrem Kind sprechen, das gerade zu sprechen beginnt: Auch der Vater und die Mutter machen sich zu Kindern [er macht diese Geräusche nach], sie sprechen so… Wir alle haben es gesehen, das stimmt. Das ist die Zärtlichkeit. Es bedeutet, mich zu erniedrigen, um auf die Ebene des anderen zu gelangen. Das ist der Weg, den Jesus gegangen ist. Jesus hat nicht daran festgehalten, Gott gleich zu sein, sondern hat sich entäußert (vgl. Phil 2,6-7). Und er hat unsere Sprache gesprochen, er hat mit unseren Gesten gesprochen. Und der Weg Jesu ist der Weg der Zärtlichkeit. Ja, so ist es: Der Hedonismus, die Angst vor der Freiheit, genau das ist der heutige Individualismus. Man muss aus ihm herauskommen auf dem Weg der Zärtlichkeit, des Zuhörens, des Begleitens, ohne zu fragen… Ja, mit dieser Sprache, mit dieser Haltung wachsen die Familien: Es gibt die Kleinfamilie, dann die große Familie der Freunde oder derer, die kommen… Ich weiß nicht, ob ich geantwortet habe, aber es scheint mir, so ist es mir in den Sinn gekommen.

(Zweite Frage)

Eure Heiligkeit, guten Abend. Ich komme auf ein Thema zurück, das Sie bereits angesprochen haben. Wir wissen, dass wir als christliche Gemeinden nicht auf die radikalen Forderungen des Evangeliums der Familie verzichten wollen: die Ehe als Sakrament, die Unauflöslichkeit, die eheliche Treue – und andererseits nicht auf die barmherzige Annahme gegenüber allen Situationen, auch den schwierigsten. Wie können wir vermeiden, dass in unseren Gemeinden eine doppelte Moral entsteht: eine anspruchsvolle und eine freizügige, eine rigoristische und eine laxistische?

Papst Franziskus:

Beides sind keine Wahrheiten: Weder der Rigorismus noch der Laxismus sind Wahrheiten. Das Evangelium wählt einen anderen Weg. Daher jene vier Worte – annehmen, begleiten, integrieren, Entscheidungen finden –, ohne die Nase in das moralische Leben der Menschen zu stecken. Um euch zu beruhigen, muss ich euch sagen, dass alles, was im Apostolischen Schreiben steht – und ich greife die Worte eines großen Theologen noch einmal auf, der Sekretär der Kongregation für die Glaubenslehre gewesen ist, Kardinal Schönborn, der es vorgestellt hat –, thomistisch ist, von Anfang bis Ende. Es ist die sichere Lehre. Aber wir wollen oft, dass die sichere Lehre jene mathematische Gewissheit hat, die es nicht gibt – weder mit dem Laxismus, mit Nachsichtigkeit, noch mit Rigorismus. Denken wir an Jesus: Die Geschichte ist dieselbe, sie wiederholt sich.

Wenn Jesus zu den Menschen sprach, dann sagten die Menschen: »Er spricht nicht wie unsere Schriftgelehrten, sondern wie einer, der göttliche Vollmacht hat« (vgl. Mk 1,22). Die Schriftgelehrten kannten das Gesetz, und für jeden Fall hatten sie ein besonderes Gesetz, um am Ende zu etwa 600 Vorschriften zu gelangen. Alles geregelt, alles.  Und der Herr – den Zorn Gottes sehe ich im 23. Kapitel des Evangeliums nach Markus, ein schreckliches Kapitel – beeindruckt mich vor allem dort, wo er über das vierte Gebot spricht und sagt: »Ihr, die ihr, statt euren alten Eltern etwas zum Essen zu geben, zu ihnen sagt: ›Nein, ich habe ein Versprechen abgelegt; der Altar ist besser als ihr‹, befindet euch im Widerspruch« (vgl. Mk 7,10-13). Jesus war so, und er wurde aus Hass verurteilt, man legte ihm Fallstricke: »Darf man das tun oder nicht?« Denken wir an die Szene mit der Ehebrecherin (vgl. Joh 8,1-11). Er steht geschrieben: Sie soll gesteinigt werden. Es ist die Moral. Sie ist klar. Und nicht rigoristisch. Es ist keine rigoristische, sondern eine klare Moral. Sie muss gesteinigt werden. Warum? Wegen der Heiligkeit der Ehe, der Treue. Jesus ist da ganz klar. Das nennt sich Ehebruch. Das ist klar. Und Jesus stellt sich ein wenig dumm, lässt Zeit verstreichen, schreibt auf die Erde… Und dann sagt er: »Fangt an: Der Erste von euch, der ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein.« In diesem Fall hat Jesus gegen das Gesetz verstoßen. Sie sind weggegangen, die Ältesten zuerst. »Frau, hat keiner dich verurteilt? Auch ich verurteile sie nicht.« Was ist die Moral? Sie bestand darin, sie zu steinigen. Aber Jesus verstößt dagegen, er verstößt gegen die Moral. Das lässt uns erkennen, dass man nicht von »Strenge«, von »Gewissheit«, von mathematischer Sicherheit in der Moral sprechen kann, als Moral des Evangeliums.

Und machen wir mit den Frauen weiter: Als jene Frau oder jenes Fräulein [die Samariterin, vgl. Joh 4,1-27], ich weiß nicht, was sie war, anfing, ein wenig die »Katechetin« zu spielen und zu sagen: »Soll man Gott auf diesem oder auf jenem Berg anbeten…?«, hat Jesus zu ihr gesagt: »Was ist mit deinem Mann?« – »Ich habe keinen« – »Du hast die Wahrheit gesagt.« Tatsächlich besaß sie viele Medaillen im Ehebruch, viele »Ehrenzeichen «… Dennoch war sie, bevor ihr vergeben wurde, der »Apostel« von Samarien. Was soll man also tun? Wenden wir uns dem Evangelium zu, wenden wir uns Jesus zu! Das bedeutet nicht, das Kind mit dem Bade auszuschütten, nein, nein. Das bedeutet, die Wahrheit zu suchen; und die Moral ist ein Akt der Liebe, immer: Liebe zu Gott, Liebe zum Nächsten. Sie ist auch ein Akt, der Raum lässt für die Umkehr des Anderen, der nicht sofort verurteilt, der Raum lässt.

Einmal – es sind viele Priester hier, verzeiht mir – hat mein Vorgänger – nein, der andere, Kardinal Aramburu, der nach meinem Vorgänger verstorben ist –, als ich zum Erzbischof ernannt wurde, mir einen Rat gegeben: »Wenn du siehst, dass ein Priester ins Wanken geraten ist, dass er etwas abgleitet, dann lass ihn zu dir kommen und sag zu ihm: ›Ich möchte mit dir reden. Man hat mir gesagt, dass du dich in dieser und jener Situation befindest, beinahe ein Doppelleben, ich weiß nicht…‹ Und wenn du siehst, dass der Priester anfängt zu sagen: ›Nein, das stimmt nicht, nein…‹, dann unterbrich ihn und sag zu ihm: ›Hör zu: Geh nach Hause, denk darüber nach und komm in zwei Wochen noch einmal wieder, dann sprechen wir noch einmal darüber.‹ Und in diesen zwei Wochen hatte jener Priester – so sagte er mir – Zeit zum Nachdenken, noch einmal vor Jesus darüber nachzudenken und zurückzukehren: ›Ja, es stimmt. Hilf mir!‹« Man braucht immer Zeit. »Aber Vater, der Priester hat in diesen zwei Wochen in Todsünde gelebt und die Messe gefeiert, so sagt die Moral, und was sagen Sie?« Was ist besser? Was war besser? Dass der Bischof so großzügig war, ihm zwei Wochen zu geben, um darüber nachzudenken, auch unter der Gefahr, die Messe in Todsünde zu feiern, ist das besseroder das andere, die rigoristische Moral? Und im Zusammenhang mit der rigoristischen Moral erzähle ich euch etwas, das ich selbst erlebt habe. Als wir Theologiestudenten waren, hatten wir die Prüfung über die Beichte – »ad audiendas « nannte sie sich – im dritten Jahr. Aber wir aus dem zweiten Jahr hatte die Erlaubnis bekommen, dabei zu sein, um uns darauf vorzubereiten.

Und einmal wurde einem unserer Kommilitonen ein Fall vorgelegt von einer Person, die zur Beichte geht. Der Fall ist jedoch sehr kompliziert, er betrifft das siebte Gebot, »de iustitia et iure«, es war ein so irrealer Fall… Und der Kommilitone, der ein normaler Mensch war, hat zum Professor gesagt: »Aber Herr Pater, das kommt im wahren Leben nicht vor.« – »Ja, aber es steht in den Büchern!« Das habe ich selbst erlebt.

(Dritte Frage)

Eure Heiligkeit, guten Abend. Überall ist heute die Rede von der Krise der Ehe. Daher wollte ich Sie fragen: Worauf können wir heute setzen, um die jungen Menschen zur Liebe, insbesondere zur sakramentalen Ehe, zu erziehen und ihre Widerstände, den Skeptizismus, die Enttäuschungen, die Angst vor dem Endgültigen zu überwinden? Danke.

Papst Franziskus:

Ich greife das auf, was du zuletzt gesagt hast: Wir leben auch eine Kultur des Provisorischen. Vor einigen Monaten habe ich gehört, dass zu einem Bischof ein junger Mann gekommen ist, der das Universitätsstudium beendet hatte, ein tüchtiger junger Mann, und zu ihm gesagt hat: »Ich möchte Priester werden, aber nur für zehn Jahre.«

Das ist die Kultur des Provisorischen. Und das geschieht überall, auch im priesterlichen Leben, im Ordensleben. Das Provisorische. Daher ist ein Teil unserer sakramentalen Ehen nichtig, weil sie [die Eheleute] sagen: »Ja, für das ganze Leben«, aber nicht wissen, was sie sagen, weil sie eine andere Kultur haben. Sie sagen es, und sie haben den guten Willen, aber sie sind sich dessen nicht bewusst. Einmal, in Buenos Aires, hat eine Frau mir vorgeworfen: »Ihr Priester seid schlau, denn um Priester zu werden, studiert ihr acht Jahre lang, und dann, wenn es nicht funktioniert und der Priester eine Frau findet, die ihm gefällt… am Ende gebt ihr ihm die Erlaubnis zu heiraten und eine Familie zu gründen. Und uns Laien, die wir das Sakrament das ganze Leben lang unlöslich aufrechterhalten müssen, hält man vier Vorträge, und zwar für das ganze Leben! « Für mich ist das eines der Probleme: die Ehevorbereitung.

Außerdem ist die Frage sehr an den gesellschaftlichen Faktor gebunden. Ich erinnere mich, dass ich – hier in Italien, letztes Jahr – einen jungen Mann angerufen habe, den ich einige Zeit zuvor in Ciampino kennengelernt hatte und der heiraten wollte. Ich habe ihn angerufen und zu ihm gesagt: »Deine Mutter hat mir gesagt, dass du nächsten Monat heiraten wirst… Wo wirst du das tun?« – »Das wissen wir nicht, wir sind auf der Suche nach der Kirche, die zum Kleid meiner Braut passt… Und außerdem haben wir viel zu erledigen: die Hochzeitssouvenirs, und dann müssen wir ein Restaurant suchen, das nicht zu weit entfernt ist…« Darüber machen sie sich Sorgen! Ein gesellschaftlicher Faktor. Wie lässt sich das ändern? Ich weiß nicht. Ein gesellschaftlicher Faktor in Buenos Aires: Ich habe in Buenos Aires verboten, kirchliche Eheschließungen vorzunehmen in den Fällen, die wir als »matrimonios de apuro« bezeichnen, also sogenannte »Mussehen«, wenn ein Kind unterwegs ist. Heute ändern sich die Dinge, aber die Sache ist die: Gesellschaftlich muss alles in Ordnung sein, ein Kind ist unterwegs, also heiraten wir. Ich habe verboten, das zu tun, weil sie nicht frei sind, sie sind nicht frei! Vielleicht lieben sie einander. Und ich habe schöne Fälle gesehen, in denen sie später, nach zwei oder drei Jahren, geheiratet haben, und ich habe den Vater, die Mutter und das Kind an der Hand in die Kirche einziehen sehen. Aber sie wussten gut, was sie taten. Die Krise der Ehe besteht deshalb, weil man nicht weiß, was das Sakrament ist, die Schönheit des Sakraments: Man weiß nicht, dass es unauflöslich ist, man weiß nicht, dass es für das ganze Leben ist. Es ist schwierig. Eine weitere Erfahrung, die ich in Buenos Aires gemacht habe: Wenn die Pfarrer die Ehevorbereitungskurse hielten, waren immer 12 bis 13 Paare da, nicht mehr, es dürfen nicht bis zu 30 Paare da sein. Die erste Frage, die sie stellten, lautete: »Wie viele von euch leben zusammen?« Die meisten hoben die Hand. Sie leben lieber zusammen, und das ist eine Herausforderung, daran muss gearbeitet werden. Man darf nicht sofort sagen: »Warum heiratest du nicht in der Kirche?« Nein. Sie begleiten: warten und reifen lassen. Und die Treue reifen lassen.

Im ländlichen Argentinien, im Nordosten, gibt es einen Aberglauben: Die Verlobten haben ein Kind und leben zusammen. Auf dem Land kommt das vor. Wenn das Kind dann zur Schule kommt, heiraten sie standesamtlich. Und später, als Großeltern, heiraten sie kirchlich. Das ist ein Aberglaube, denn sie sagen: Sofort kirchlich zu heiraten, schreckt den Ehemann ab! Wir müssen auch gegen diesen Aberglauben kämpfen. Dennoch sage ich wirklich, dass ich bei den zusammenlebenden Paaren viel Treue gesehen habe, viel Treue; und ich bin mir sicher, dass dies eine wahre Ehe ist, dass sie die Gnade der Ehe haben, eben wegen ihrer Treue. Aber es gibt an einigen Orten Aberglauben. Die Ehepastoral ist die schwierigste Pastoral.

Und dann der Friede in der Familie. Nicht nur, wenn sie miteinander streiten: Der Rat lautet dabei immer, den Tag nicht zu beenden, ohne Frieden zu schließen, denn der kalte Krieg am folgenden Tag ist schlimmer. Er ist schlimmer, ja, er ist schlimmer. Und wenn sich die Verwandten einmischen, die Schwiegereltern, denn es ist nicht einfach, Schwiegervater oder Schwiegermutter zu werden! Das ist nicht einfach. Ich habe etwas Schönes gehört, das den Frauen gefallen wird: Wenn eine Frau bei der Ultraschalluntersuchung erfährt, dass sie mit einem Jungen schwanger ist, dann beginnt von dem Augenblick an ihre Ausbildung zur Schwiegermutter!

Zurück zum Ernst der Sache: Die Ehevorbereitung muss mit Nähe geschehen, ohne zu erschrecken, langsam. Oft ist es ein Weg der Umkehr. Es gibt sie: Es gibt junge Männer und Frauen, die Reinheit und große Liebe besitzen und die wissen, was sie tun. Aber es sind wenige. Die heutige Kultur gibt uns diese jungen Menschen. Sie sind gut, und wir müssen ihnen zur

Seite stehen und sie begleiten – sie begleiten, bis zum Augenblick der Reife. Dann sollen sie das Sakrament feiern, aber mit Freude, mit Freude! Es braucht viel Geduld, viel Geduld. Es ist dieselbe Geduld, die man auch für die Berufungspastoral braucht. Dieselben Dinge anhören, zuhören: das »Apostolat des Ohres«, zuhören, begleiten… Nicht erschrecken, bitte, nicht erschrecken. Ich weiß nicht, ob ich geantwortet habe, aber ich spreche aus meiner Erfahrung heraus, aus dem, was ich als Pfarrer erlebt habe. [Zum Abschluss]

Vielen Dank, und betet für mich!

 



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